Die Seelenquelle

gehütetes Geheimnis und weigerte sich, mit irgendjemandem darüber zu sprechen.«
    »Was hat er denn entdeckt?«
    Brendan lehnte sich zurück und legte die Stirn in Falten. »Die Wahrheit ist – wir wissen es nicht.«
    »Was?«, platzte es aus Cass heraus, deren Verbitterung so groß war, dass ihre Stimme schrill klang. »Da wir freiheraus reden, habe ich mehr erwartet – und es macht mir auch nichts aus, dies freiheraus zu sagen.«
    »Und ich wünsche wahrhaftig, ich könnte Ihnen mehr erzählen. Viele Mitglieder unserer Gesellschaft haben ein Leben lang daran gearbeitet, das Rätsel zu lösen, was Arthur entdeckte, und nicht das Gefühl gehabt, dass er es dem Rest der Welt weitergeben konnte. Wir haben uns geschworen, unser Leben und Blut für diese große Suche hinzugeben, und einige sind bei der Verfolgung dieser Aufgabe gestorben. Wir vertrauen darauf, dass sie ihr Leben nicht vergeblich geopfert haben.«
    Cass lehnte sich zurück und starrte den Gentleman an, der ihr am Tisch gegenübersaß; dann kämpfte sie ihre Frustration und Enttäuschung nieder. »Aber Sie müssen doch irgendeine Vorstellung davon haben, wonach Sie überhaupt suchen?«
    »Wir haben eine endlose Reihe von Vorstellungen, Theorien, Ahnungen, Vermutungen und so weiter«, erwiderte Brendan und lachte kleinlaut. »Tatsächlich sind es zu viele. Doch die allerbeste Theorie ist – und ich vertrete nicht allein diese Ansicht, sondern andere auch –, dass Arthur Flinders-Petrie nichts Geringeres entdeckt hat als die Mittel, um die Realität zu ändern.«
    »Wie bitte?«, rief Cass, deren Tonfall abermals scharf wurde, da sie das Gehörte nicht glauben konnte. Ihre wissenschaftliche Ausbildung und ihr eigener angeborener Hang zur Skepsis – der in den Jahren ihrer akademischen Kämpfe gegen eine beachtliche Anzahl merkwürdiger Vorstellungen feingeschliffen worden war – machten sie argwöhnisch gegenüber allem, was auch nur im Entferntesten schrullig klang. »Für einen Moment habe ich geglaubt, sie hätten gesagt: ›um die Realität zu ändern‹. Was soll das überhaupt bedeuten?«
    Brendan nickte. »Ich tadle Sie nicht, dass Sie Zweifel haben. Ich selbst habe Jahre gebraucht, um es zu akzeptieren. Sogar jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich all die Implikationen vollständig begreife, doch es scheint mit dem ganz gewöhnlichen Geheimnis der Zeit verbunden zu sein. Vielleicht hat Arthur eine Möglichkeit gefunden, um die Zeit selbst zu beeinflussen.«
    »Das würde die größte Entdeckung in der Geschichte der Menschheit sein«, bemerkte Cass trocken. »Ihr Mann Flinders-Petrie muss ein verdammt guter Entdecker gewesen sein.«
    »O, das war er bestimmt«, bekräftigte Brendan. »Das ist natürlich bloß eine Theorie; aber es ist die beste, die wir bislang haben. Überlegen Sie doch mal … Was wäre, wenn Sie – nur als Beispiel – die Fähigkeit besitzen würden, die Vergangenheit zu verändern …«
    »Dann wäre ich sagenhaft reich und würde in einem tropischen Inselparadies leben, anstatt ein Dreck lutschender Promotions-Landser zu sein. Und wir würden nicht dieses Gespräch führen – das heißt, wenn ich die Vergangenheit ändern könnte.«
    »Ich befürchte, ich habe Ihnen zu viel unterbreitet, und das alles auf einmal«, sagte Brendan verständnisvoll. Er holte tief Luft und heftete den Blick auf einen Himmel, der sich von Gold zu Violett verfärbte, während der Abend hereinbrach. »Wir sollten zurückkehren. Rosemary wird sich fragen, was aus uns geworden ist.«
    Er legte ein paar Münzen auf den Tisch, und sie setzten ihren Spaziergang durch das Straßenlabyrinth der Altstadt fort. Nach einem Moment erklärte er: »Hier in Syrien ist das beeindruckende Spektrum der Vergangenheit überall um uns herum: jede Zivilisation von der Prähistorie über das Zeitalter der Assyrer, Babylonier, Perser, Römer, Byzantiner – was auch immer … Jede Epoche der menschlichen Existenz hat ihre Spuren in diesem Land hinterlassen. Genau hier ist es leicht, sich das Reisen in die Vergangenheit vorzustellen, weil die Vergangenheit niemals weit entfernt ist.«
    »Sie sprechen mit einer Paläontologin«, erwiderte Cass. »Ich verbringe eine Menge Zeit mit dem Kopf in der Vergangenheit.«
    »Dann sollten Sie ein gutes Gespür für das Mysterium haben, das sich im Innersten der Zeit selbst befindet. Wir leben und bewegen uns in der Zeit, aber keiner von uns weiß wirklich viel über sie. Zum Beispiel erleben wir normalerweise, dass die Zeit