Die Seelenquelle
widmen, die mir nun bevorsteht, so wahr mir Gott helfe.«
Als sie diese letzten Worte aussprach, schien es ihr wirklich so zu sein, als ob sie ihrer Persönlichkeit – ja, tatsächlich, dem innersten Kern ihrer Seele – eine neue, andere Dimension verliehen hätte. Das Gefühl wurde bekräftigt, als Brendan ihr eine Kerze überreichte und bat, sie an der größeren auf dem Tisch zu entzünden. Als sie ihre Kerze an die Flamme hielt, erklärte er: »Möge dieses Licht ein Symbol für das ›Große Licht‹ sein, auf das Sie vertrauen dürfen, während Sie durch die Dunkelheit der Ignoranz, des Bösen und des Todes reisen – hin zu dem niemals verlöschenden Licht der Ewigkeit.«
Der Docht ihrer Kerze wurde vom Feuer erfasst, und sie loderte in einer hellen, gelben Flamme zum Leben auf. Cassandra wandte ihr Gesicht wieder den versammelten Mitgliedern zu.
»Meine Damen und Herren der Zetetischen Gesellschaft«, verkündete Brendan, »bitte heißen Sie unser neuestes Mitglied, Cassandra Clarke, willkommen.« Begleitet von Applaus, schüttelte er ihr die Hand. Danach kam jedes der anderen Mitglieder nach vorne, um ihr die Hand zu schütteln und sie in der Gemeinde willkommen zu heißen.
Dann war es vorüber: eine einfache Zeremonie, die jedoch in jeder Hinsicht zufriedenstellend war. Cass fühlte sich, als hätte sie sich einer Gruppe von Reisegefährten und Freunden angeschlossen, auf die sie sich in zukünftigen Tagen verlassen konnte. Es folgte eine gute Mahlzeit aus syrischen Delikatessen: Fladenbrot mit Hummus, Babaganoush, gebratenes Lamm mit Reis, Saubohnen mit Tomaten und Pfefferminz, Fattoush und Hähnchen Kebab. Cass genoss das Essen, allerdings nicht so sehr wie die Gesellschaft ihrer Tischgenossen. Sie alle legten Wert darauf, sie anzusprechen und ihr ganz spezielle, goldene Ratschläge für das Ley-Reisen zu geben: Man solle lockere Kleidung tragen und Unterwäsche zum Wechseln mitnehmen; stets ein paar Sovereigns oder Krügerrand dabeihaben, da Gold ein universales Zahlungsmittel darstelle; ein Schweizer Armeemesser mit Korkenzieher sei ein Lebensretter; ein neutrales Kopftuch aus Baumwolle könne Wunder wirken; hohe Lederschuhe würden einen niemals im Stich lassen; einen breitkrempigen Hut solle man sich beschaffen … und so weiter.
Jede Empfehlung wurde mit den besten Wünschen des Ratgebers erteilt – zusammen mit einer feierlichen Zusage, ihrem neuesten Mitglied in jeder nur möglichen Weise zu helfen. Cass dankte ihnen allen für ihre guten Ratschläge.
Später, als sie draußen im Hof unter den Sternen ihren Kaffee tranken, machte sich Tess an sie heran. »Riechen Sie den Jasmin«, forderte sie Cass auf und atmete den süßen, berauschenden Duft ein. »Absolut himmlisch.«
»Er ist schon immer einer meiner Lieblingsdüfte gewesen«, erwiderte Cass und sog die wie Parfüm riechende Nachtluft in sich ein. »Seitdem ich ein kleines Mädchen bin …«
»Sie scheinen verwirrt zu sein«, bemerkte Tess. »Hat irgendjemand etwas gesagt, durch das sie verstimmt worden sind?«
»Nein, keineswegs; im Gegenteil«, entgegnete Cass rasch. »Es ist nur …« Sie zögerte, doch dann gestand sie: »Ich fühle mich ein wenig eingeschüchtert, das ist alles. Überwältigt. So viel ist auf einmal passiert, und ich weiß so wenig von all dem. Ich habe das Gefühl, als wäre mir ein Berg vorgesetzt worden, über den ich nun hinüberkommen muss.«
Die alte Dame betrachtete sie mit plötzlicher Intensität, dann kündete sie an: »Ich werde Sie adoptieren, meine Liebe. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Cass. »Aber mache ich den Eindruck, als ob ich es nötig hätte, adoptiert zu werden?«
»Nicht im Geringsten«, antwortete Tess. »Ich tue es rein aus selbstsüchtigen Gründen. Ich bin viel zu alt, um mit der großen Suche weiter fortzufahren, doch ich kann auf meine Weise helfen. Ich kann beispielsweise Sie durch Gebete unterstützen.«
»Das Gebet ist unsere größte und heilsamste Waffe in der ewigen Schlacht«, warf ein Mann namens Schecter ein, der sich gerade zu ihnen gesellt hatte. Er trank einen Schluck Kaffee und fuhr fort: »Nicht weniger als die Schwerkraft ist das Gebet eine der elementaren Kräfte, welche die Welt bewegen. Wir unterschätzen das Gebet – auf eigene Gefahr hin.«
»Behalten Sie Ihre Moralpredigten für sich, Robert«, sagte Tess zu ihm. »Ich habe sie zuerst gesehen.« Sie fasste Cass am Arm. »Kommen Sie, wir gehen dorthin, wo wir uns
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