Die Seelenquelle
Freien eine Audienz abhielt.
»Haben Sie Papiere?«, erkundigte sich irgendwann der Priester, woraufhin Kit mit dem Kopf schüttelte.
Die Männer berieten sich weiter, wobei sie heftig gestikulierten und sich an den Köpfen kratzten.
»Was sollen wir nur mit ihm tun?«, fragte Vater Tadeo.
»Er hat, soweit ich weiß, gegen kein Gesetz verstoßen«, erklärte Diego. »Ich glaube nicht, dass ich ihn ins Gefängnis stecken kann, weil er sich in einer Höhle verirrt hat.«
»Ihn inhaftieren?«, rief der Bürgermeister. »Ich will nicht, dass er inhaftiert wird. Ich will, dass er weggeht. Schauen Sie sich ihn an. Er ist ein Barbar.«
»Er ist ein Engländer«, entgegnete Ricardo.
»Er hat Forschungen durchgeführt und sich verirrt«, sagte Ramón und wandte sich dann an den Priester: »Sie sollten ihm ein Bad und etwas zu essen geben.«
»Was! Ich sollte das tun? Madre de Dios! Das ist nicht meine Sache.« Vater Tadeo hob die Hände nach oben. »Es ist nicht meine Angelegenheit, was Sie mit ihm anstellen.«
»Aber Sie sind der Priester dieses Ortes«, gab Bürgermeister Benito zu bedenken.
»Was hat denn das damit zu tun?«, entgegnete Vater Tadeo.
»Die Pflicht zur Gastfreundschaft obliegt Ihnen«, betonte der Bürgermeister.
»Keineswegs«, erwiderte Tadeo. »Sie sind der Bürgermeister – es ist Ihre Aufgabe, Gastfreundschaft zu gewähren.«
»Wir müssen etwas unternehmen«, warf Ramón ein. »Er kann nicht auf meinem Transporter leben. Ich muss nach Hause gehen und das Vieh füttern.«
»Er hat keine Papiere«, sagte der Bürgermeister.
»Braucht er überhaupt Papiere?«, erkundigte sich der Polizist.
»Alle anständigen Leute haben Papiere«, behauptete der Bürgermeister. »Ein weiterer Grund, weshalb er nicht hierbleiben kann.«
»Wohin kann er denn gehen?«, fragte Ricardo. »Er hat sich doch verirrt.«
»Ich weiß es!«, rief Vater Tadeo. »Bringt ihn zum Kloster. Sie haben immer so viele Besucher – Pilger, die von überall herkommen. Sie werden schon wissen, was sie mit ihm anfangen sollen.«
»Aber er ist kein Pilger«, widersprach Ramón. »Er ist ein Forscher.«
»Ganz egal – das ist das Gleiche«, erwiderte der Bürgermeister, der nunmehr eine amtliche Entscheidung traf. » Padre , Sie bringen ihn ins Kloster, und dort wird man sich schon um ihn kümmern.«
»Ich?« Vater Tadeo hob erneut die Hände nach oben. »Ich habe doch gar kein Auto, wie Sie wissen. Ich kann ihn unmöglich dahin bringen. Außerdem muss ich meine nächste Predigt schreiben.«
Alle Augen richteten sich auf den Polizisten. »Diego, mein Freund«, sagte der Bürgermeister und legte seine Hand auf die Schulter des Ordnungshüters, »das ist eine Dienstsache. Sie müssen ihn mit Ihrem Fahrzeug dorthin bringen.« Er blickte zu Kit und fügte hinzu: »Benutzen Sie die Sirene.«
Und so kam es, dass Kit von der Ladefläche des dreirädrigen Transporters in den polizeilichen Dienstwagen verlegt wurde – eine zerbeulte blau-weiße Blechkiste, die beißenden Rauch spuckte, während sie dahinratterte. Der Polizist hatte ein wachsames Auge auf seinen ungewöhnlichen Passagier. Kit seinerseits lächelte viel und bemühte sich, nicht noch mehr wie ein Problem auszusehen, als er es eh schon war.
Sie fuhren durch ein anderes Dorf und dann noch durch ein weiteres, bevor die Landstraße einen Bogen machte und in das Gebirge hochführte. Der Fahrweg schlängelte sich höher und höher; es folgte eine ganze Serie von ansteigenden Serpentinen, auf denen sie sich den spitzwinkligen Gipfeln näherten. Der Polizeiwagen tuckerte immer langsamer dahin, während er sich den steilen Anstieg hochmühte. Schließlich kam er vor einem hohen Eisentor zu stehen, über dem sich in schmiedeeisernen Buchstaben, die weiß angestrichen waren, ein Schriftzug wölbte: Abadia de Montserrat .
NEUNZEHNTES KAPITEL
C assandra verspürte die Wärme der grellen Sonne über Damaskus in ihrem Rücken, während sie draußen vor einer glänzenden, schwarz lackierten Tür stand. An ihr befand sich ein kleines Messingschild, auf dem in einer schönen, fließenden Schrift die Wörter Zetetische Gesellschaft eingraviert waren. Die Türklinke bestand ebenfalls aus Messing und war ebenso wie das Schild glänzend poliert. Es war ruhig in der engen, kleinen Straße, die im Schatten hoher getünchter Mauern und der grauen Steinwände von Beit Hanania lag, dem Haus des Mannes, der in der westlichen Welt als heiliger Ananias berühmt war – der zuerst den
Weitere Kostenlose Bücher