Die Seelenquelle
einfachsten aus, wenn man sagt, dass wir von der Gesellschaft Antworten auf die größten Fragen des Lebens suchen.«
»Und was für Fragen sind das?«
»Die üblichen. Warum sind wir hier? Wohin gehen wir?« Die Frau hielt inne, beugte sich ein wenig vor, betrachtete Cass vielsagend und fügte hinzu: »Was ist die wahre Natur der Wirklichkeit?«
»Ich wünschte, ich wüsste das«, seufzte Cass leise. Es wurde ihr allmählich unbehaglich unter dem fortdauernden Blick der Frau. Sie schien zu erwarten, dass Cass etwas sagte, und so fragte sie: »Diese Bücher hier – sind sie eigentlich dazu da, dass sie verkauft werden?«
»Du liebe Güte, nein«, erwiderte die Frau und ergriff wieder ihren Tee. »Sie sind Hilfsmittel.«
»Ich verstehe.« Cass nickte und nahm gedankenverloren einen Schluck. »Aber Sie haben doch bestimmt irgendwelche Literatur über ihre Gesellschaft?«
»Nein, es tut mir wirklich sehr leid, aber so etwas haben wir nicht.«
»Nichts über die Gesellschaft – über ihre Ziele, ihre Auffassungen, Voraussetzungen für die Erlangung der Mitgliedschaft?«
»Ihre Worte klingen so, als ob wir sehr groß wären – wirklich sehr groß. Aber nein, leider sind wir nur eine kleine Gemeinde von Spinnern und Exzentrikern, die sich der großen Suche hingeben. Und es gibt keine formellen Voraussetzungen.« Sie zögerte und betrachtete Cass erneut mit diesem direkten, taxierenden Blick. »Keine formellen Voraussetzungen – außer der, seinen Weg zu unserer Tür zu finden.«
»Das ist es schon? Das ist alles? Ein potenzielles Mitglied muss nur seinen Weg zu diesem Geschäft finden?«
»Was lässt Sie glauben, dies hier wäre ein Geschäft?«, fragte sie und hob die Messingkanne hoch. »Noch mehr, Verehrteste?«
Cass streckte ihr das Glas entgegen. »Danke schön.«
»Wie ich gerade schon gesagt habe, gibt es keine Voraussetzungen für die Mitgliedschaft. Wir finden nämlich – wie Sie sehen –, dass nur diejenigen, die wünschen, Mitglieder unserer Gesellschaft zu werden, sich die Mühe machen würden, überhaupt Fragen dazu zu stellen.«
»Ihre Mitglieder wählen sich also selbst aus«, sinnierte Cass. »Dann nehme ich an, es muss eine sehr große Gesellschaft sein.«
»Warum sollten Sie das glauben?«, wollte die Frau wissen. »Wahre Sucher trifft man sehr selten an. Und noch seltener Menschen, die willig sind, den Preis zu bezahlen, um sich der großen Suche anzuschließen.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind eine kleine, ziemlich exklusive Gruppe. Aber das liegt nicht an uns – das kann ich Ihnen versichern. Die Menschen treffen entweder die Wahl, sich uns anzuschließen, oder sie tun es nicht. Bei den meisten stellen wir fest, dass sie es nicht tun.«
»Das ist eine Schande«, scherzte Cass. »Zum Mindesten würden sie ein schönes Glas Pfefferminztee bekommen.«
»Das stimmt in der Tat, meine Gute.«
Cassandra trank ihren Becher aus und stellte ihn auf das Tablett. Dann stand sie auf. »Danke schön für die Unterhaltung und den Tee. Sie sind sehr freundlich, doch ich muss jetzt wirklich gehen. Ich hatte nicht vor, Ihren ganzen Morgen in Anspruch zu nehmen.«
»Hatten Sie nicht?«, entgegnete die Frau verblüfft. »Warum sind Sie dann hergekommen?«
»Das Plakat«, antwortete Cass. »Ich habe am Eingang zum Basar das Plakat gesehen – das orangefarbene, meine ich. Es schien mir interessant zu klingen, und so bin ich hergekommen.«
Die alte Frau stellte ihr Glas auf das Tablett und sah ihrer Besucherin ins Gesicht; ihr Blick war starr und auf unangenehme Weise direkt. »Würde es Sie sehr überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass nicht jedermann dieses Plakat sehen kann?«
»Weil der Text in Englisch geschrieben ist, meinen Sie?«
»Ich habe nicht gesagt, sie könnten es nicht lesen«, erwiderte die Frau, die einen pedantischen Tonfall annahm. »Ich habe gesagt, sie können es nicht sehen . Unsere kleine Werbeanzeige ist tatsächlich unsichtbar für alle, die nicht bereit und willens sind, sie zu sehen. Sie, meine Gute, sind bereit, ansonsten wären Sie nicht hier.«
Cass spürte, wie eine Ahnung sie überkam und ein mulmiges Gefühl in ihr auslöste. »Ich bin mir nicht sicher, dass ich verstehe, was Sie meinen.«
»Ich meine genau das, was ich gesagt habe. Nicht mehr. Nicht weniger.« Ihr Lächeln wirkte nun streng und verschlagen. »Glauben Sie, ich könnte nicht erkennen, wer und was Sie sind?«
Cass war nun ängstlich darauf bedacht, das Gespräch zu beenden und
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