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Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
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wären sie binnen ein oder zwei Tagen zurück, oder sie kämen gar nicht mehr wieder.
    Rhys hatte am zweiten Tag nach der Flucht aus zwei langen, geraden Ästen Lanzen gefertigt, indem er sie von ihren Blättern befreite und anspitzte. Nachdem er sie im Feuer gehärtet hatte, dienten sie ihnen nun als Wanderstöcke und halfen vor allem Kamala, auf den steilen, steinigen Hängen das Gleichgewicht zu halten. Die beiden sprachen kein Wort, doch es herrschte keine Stille. Die Stimmen waren immer da. Schrien vor Schmerz. Rieten ihnen zur Flucht. Legten Zeugnis ab von einem Leiden, das schrecklicher war als alles, was sie jemals erlebt hatten. So erschien es jedenfalls Kamala.
    Und sie gingen geradewegs darauf zu.

    Was hat es mit diesen Speeren eigentlich auf sich? , hatte sie ihn am ersten Tag ihres langen Rittes gefragt. Warum hängt von ihnen so viel ab?
    Wir wissen nichts Genaues , hatte er geantwortet. Die Überlieferung sagt, die Götter hätten sie in den letzten Tagen des Großen Krieges vom Himmel geschleudert, um das Land mit einem Fluch zu belegen. Wo sie aufschlugen, zerriss die Erde, und das Blut der Erdmutter spritzte empor. Als es abkühlte, legte es sich wie eine schützende Hülle um die Speere. Wir halten diese Hüllen gut instand, um zu bewahren, was sich darunter befindet, und um die Wirkung des Heiligen Zorns zu erhalten, aber soviel ich weiß, hat kein Mensch jemals ins Innere geschaut, und ich kenne keine Sagen und Mythen, die uns ihr wahres Wesen verraten würden.

    Entsetzen.
    Eisige Wellen, schwarze Fluten schlugen brüllend über ihr zusammen, drangen in ihre Lungen, drohten sie zu ersticken.
    Lauf weg! , schrien die Stimmen. So schnell du kannst! Noch ist Zeit dafür!
    Ringsum regten sich Magister in den Schatten, schrieben mit den Fingern magische Zeichen in die Luft, woben Zauber, um sie zu fesseln. Sie weigerte sich, sie anzusehen. Sie waren nicht wirklich da. Einmal hatte der Heilige Zorn sie schon in einen ihrer Albträume gerufen, und nun hatte er es im Wachen noch einmal getan, aber sie waren und blieben doch nur eine Illusion, die ihre Kraft aus ihren tiefsten Ängsten bezog.
    Du begreifst nichts! , kreischten die Stimmen. Du kannst es nicht begreifen! Magie kratzte an der Innenseite ihres Schädels wie ein wildes Tier in der Falle. Flieh, solange du noch kannst! Wenn du bleibst, bist du des Todes!
    »Kamala!«
    Eine menschliche Stimme in diesem Höllenkonzert. Es fiel ihr schwer, sie herauszufiltern. Rhys. Sie bemühte sich, ihn anzusehen – ihn wahrzunehmen –, und irgendwann gelang es ihr. Er war totenbleich, unter dem Ansturm des Übernatürlichen war alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Machte ihn sein Lyr -Blut immun gegen die Stimmen, dämpfte es sie so weit, dass er noch klar denken konnte? Oder war er empfänglicher als sie, konnte er Worte und Warnungen besser verstehen, besaß aber die innere Kraft, ihnen standzuhalten? Seine Miene war erschreckend finster, und sie spürte für einen flüchtigen Moment, wie schwer es ihm fiel, sich ihr zu widmen, obwohl sich die Störungsquelle unmittelbar vor ihnen befand.
    Dann nahm er ihre Hand und drückte sie. Sie schloss die Augen und konnte ihren Geist für einen Moment – einen einzigen Moment nur – auf diese Berührung richten und Kraft daraus ziehen.
    Vor ihnen breitete sich, flach und trostlos, eine riesige Hochfläche aus. Kein Baum, so weit das Auge reichte, nur endlose Steppe mit kargem struppigem Gras und hier und dort einem dürren Strauch. In der Mitte erhob sich eine einzelne Felssäule wie eine Granitinsel in einem schwarzen Meer. Eine Seite war aufgerissen, die Wand war nach innen gewölbt, und in der Mitte klaffte ein riesiger Spalt. Vielleicht hatte das Eis eines kalten Winters das uralte Gestein gesprengt.
    Auf dieser Säule stand der Speer.
    Er war aus fleckigem Stein, mindestens so hoch wie zwei Männer, ein Fremdkörper ohne jede Beziehung zu seiner Umgebung. Die Oberfläche erschien gewaltsam verformt, als hätte man einen Felskegel so weit in die Länge gezogen und gedreht, bis er seine natürliche Gestalt verloren hatte. Wahrscheinlich hatte er irgendwann im Zentrum der Säule gestanden, doch über die Jahrhunderte war seine Basis verwittert, und nachdem nun auch noch eine Seite der Säule vollständig weggebrochen war, stand das Ganze bedenklich schief. Im unteren Bereich gab eine Bruchstelle den Blick auf einen Hohlraum frei. Kamala bemerkte, dass einige der heruntergefallenen Steine auffallend

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