Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seelenzauberin - 2

Die Seelenzauberin - 2

Titel: Die Seelenzauberin - 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celia Friedman
Vom Netzwerk:
sich, als das sonnenwarme Blut hineinströmt, und pumpt die heilende Kraft in jede Faser ihres Fleisches. Sogar der verletzte Flügel erzittert, als der warme Saft hindurchfließt, und pulsiert vor neuer Lebenskraft. Aber das Sonnenlicht kann die Teile nicht erreichen, die am meisten der Heilung bedürfen, und es kann auch die kreuz und quer durcheinandergewürfelten Knochenstücke nicht an den rechten Ort legen. Vor Enttäuschung winselnd versucht sie abermals, den verletzten Flügel zu bewegen, doch davon fängt er nur wieder an zu bluten. Der kostbare Saft rinnt auf den Boden, wo sein Zauber wirkungslos versickert …
    Siderea schlug die Augen auf. Eine kleine Ewigkeit lang blieb sie reglos liegen, drückte die Wange gegen den Schwanz der Kreatur und spürte, wie die Wärme des Sonnenlichts durch ihren Körper strömte. Den Körper der Kreatur . War dieser seltsame Traum nur ein Vorspiel des Todes gewesen? Wenn nicht … was dann? Sie versuchte aufzustehen und war verblüfft, als es ihr gelang. Der verletzte Arm schmerzte noch, aber der Schmerz war nicht mehr unerträglich; anfangs schwankte sie, doch dann erstarkten ihre Beine. Für jemanden in ihrem Zustand hielt sie sich erstaunlich sicher aufrecht. Die Welt leuchtete im Schein der Sonne in allen Farben. Ihre Sinne hatten die Arbeit wieder aufgenommen.
    Der Heilungsprozess hatte eingesetzt.
    Sie machte einen Schritt, dann zwei, und als sie glaubte, gefahrlos gehen zu können, tastete sie sich vorsichtig um den Körper des Seelenfressers herum. Sie fand die Schwinge, die über die Erde gebreitet war; schillernde Lichtreflexe spielten darüber hin, sooft das Wesen einen Atemzug nahm. Seine Schwingen waren länger und kräftiger als bei den anderen Seelenfressern, mit schimmernden Membranschleiern an den unteren Rändern. Feenflügel , dachte sie und beobachtete, wie sie im Sonnenlicht kobaltblau und violett flimmerten. Von fremdartiger, sinnverwirrender Schönheit. Das Weibchen drehte den Kopf, als sie zur anderen Seite kam, die schwarzen Augen beobachteten sie unverwandt. Da … da war der Schaden. Eine der großen Speichen, ein schmaler Knochen von der Schulter zur äußersten Flügelspitze, war an mindestens zehn Stellen gebrochen. Messerscharfe Splitter hatten sich in die zarte Membran gebohrt, sie hing an manchen Stellen in Fetzen herab; die ganze Schwinge war mit Blut verkrustet. Der Seelenfresser hatte sich seine Freiheit teuer erkauft.
    Siderea beugte sich über das gebrochene Glied und brachte langsam und vorsichtig alle Bruchstücke wieder an ihren Platz. Sie spürte kaum, was sie tat, so feucht und glitschig waren ihre Hände vom dunkelroten Blut der Kreatur. Ganz in Gedanken wischte sie es an den Resten ihres Reitkostüms ab und machte weiter. Der Seelenfresser wimmerte leise, er hatte offensichtlich Schmerzen, aber er wehrte sich nicht. Er verstand, dass sie ihm helfen wollte.
    Endlich waren alle Trümmer annähernd in der richtigen Position, und die zerfetzte Membran lag so gut wie möglich an. Siderea trat zurück und betrachtete ihr Werk, und dabei fiel ihr auf, dass auch ihr eigener Arm zu bluten aufgehört hatte. Offenbar hatte sie sich selbst geheilt, ohne es zu merken. Ihre Macht war zurückgekehrt!
    Zögernd – oh, nur sehr zögernd – beschwor sie den übernatürlichen Blick, um in ihre Seele zu schauen. Dass sie dazu überhaupt fähig war, sprach Bände; noch vor einer Stunde wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Mit wild pochendem Herzen lenkte sie ihren Hexenblick in ihr Inneres und suchte nach dem Feuer, das in jeder Menschenseele brannte. Die Quelle allen Lebens, aller Hexenkunst.
    Und als sie es fand, stockte ihr der Atem. Da flackerte keine erlöschende Flamme, die jeder metaphysische Hauch auslöschen konnte, da brannte echtes Seelenfeuer, stark und ruhig. Die Veränderung war unübersehbar, und ihre Bedeutung war nicht misszuverstehen; eine sterbende Hexe verfügte nicht über eine solche Energie. Ganz gewiss nicht!
    Lange starrte sie den Seelenfresser nur an. In einem fernen Winkel ihres Gehirns erinnerte sie sich, dass es sich um eines der am meisten gefürchteten Wesen dieser Erde handelte, dass seine Vettern einst die menschliche Zivilisation in die Knie gezwungen hatten. Jeder vernünftige Mensch musste schlichtweg Angst davor haben.
    Aber sie war längst jenseits jeder Vernunft.
    Mit zitternden Händen – zitternd vor Freude, nicht mehr vor Angst – riss sie ein Stück Stoff vom Saum ihres Reitkleids und begann,

Weitere Kostenlose Bücher