Die Seelenzauberin - 2
sollte. Wie half man einem Menschen, der seine Götter verloren hatte?
Einmal hatten sie sich geliebt. Wenn man es denn so nennen konnte. Sie hatten sich so weit nach Süden vorgearbeitet, dass die Schreie des Heiligen Zorns nicht mehr zu hören waren, und sie hatten sich so viel Schlaf gestohlen, wie sie brauchten, um wieder zu Kräften zu kommen. Dann war er eines Nachts erwacht und hatte nach ihr getastet, und sie hatte den gleichen Drang verspürt und war ihm wortlos entgegengekommen. Im Schatten der Zerstörung hatte das Leben nach dem Leben gerufen. Der Akt vollzog sich in verzweifelter Hast, und hinterher hatte er zitternd in ihren Armen gelegen, und sie hatte verstanden, was er empfand. Kein Wort wurde gesprochen, kein Wort war erforderlich. Manchmal waren die Grenzen der Sprache schlichtweg zu eng.
Am nächsten Morgen hatten sie ihre Pferde gesattelt und sich wieder auf den Weg gemacht. Über diese Nacht hatten sie nie gesprochen. Und Rhys hatte sie nie wieder berührt. Dann und wann glaubte sie in den Tiefen dieser leeren Augen etwas aufglimmen zu sehen, als wollte sich ein Fünkchen menschlichen Gefühls an die Oberfläche kämpfen. Aber sie wusste nicht, womit sie es anfachen sollte – ob sie es überhaupt anfachen sollte –, und hatte es dabei belassen.
Er hatte seither nicht mehr geschlafen und war sichtlich erschöpft, aber vielleicht zog er die Erschöpfung seinen Albträumen vor.
Nun blickte er über das Land, das vor ihnen lag – eine weite, grasbedeckte Ebene, über die der Wind fegte, vereinzelt unterbrochen von dichtem Gestrüpp, eine ganz andere Welt, so kam es ihm zumindest vor, als die Gegend um den Speer – und sagte: »Du musst das wirklich nicht für mich tun.«
»Hier ist es sicher«, beruhigte sie ihn. »Hier wirken meine Zaubersprüche so, wie ich es will.«
»Sicher für mich, ja, aber nicht für dich.« Das Fünkchen in seinen Augen flackerte trotzig auf. »Wir muten unseren Hexen nur dann zu, dass sie ihre Lebensenergie für uns opfern, wenn es keinen anderen Weg gibt.«
»Du hast es nicht von mir verlangt«, bemerkte sie.
»Eine Beförderung hat einen hohen Preis, nicht wahr?«
»Sie kostet viel Seelenfeuer.« Tatsächlich war die Beförderung von Lebewesen eines der kostspieligsten Vorhaben der Zauberkunst. Ein intelligentes Wesen von einem Ort zu entfernen und mit intakten Lebensfunktionen – ganz zu schweigen von den Erinnerungen – anderswo wiedererstehen zu lassen, war die Meisterprobe für jeden Zauberer. Wie übrigens auch für jede Hexe. Der Athra-Aufwand war immens, und schon der kleinste Fehler konnte tödlich sein. »Aber das ist meine Sorge, nicht die deine.«
Sie hatte bereits die nötigen Vorkehrungen getroffen. Sobald es den Anschein hatte, als könne sie ihren Kräften wieder trauen, hatte sie sich eine Stelle gesucht, wo sie für sich war, und ihren Konjunkten ausgebrannt. Zwar konnte sie nicht abschätzen, wie viel Athra sie die Verwandlung in der Nähe jenes Tales gekostet hatte – sie wusste nicht einmal, wie lange der Kampf gedauert hatte –, aber sie glaubte nicht riskieren zu können, in einem ungeeigneten Moment das Bewusstsein zu verlieren.
Das Verfahren war ihr in der Theorie durchaus vertraut, selbst hatte sie es allerdings noch nie angewendet. Man vergeudete Athra mit sinnlosen Übungen, entzog seinem Konjunkten die letzte Lebensenergie und erzwang die nächste Translatio, um sich eine neue Lebensquelle zu verschaffen. Es ging erstaunlich schnell, offenbar war ihr Konjunkt nahezu erschöpft gewesen. Ein winziger Zauber genügte, um ihm den letzten Rest seiner Energie zu rauben. Die Erkenntnis war beschämend. Wenn sie den Wandel nicht vorzeitig erzwungen hätte, solange sie halbwegs in Sicherheit war, hätte sich ihre Macht womöglich mitten in einem riskanten Verfahren wie einer Beförderung erschöpft. Was geschah wohl, wenn ein Zauberer seine Macht verlor, während sich sein Körper im Nirgendwo befand? Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte es am eigenen Leib erfahren. Die Vorstellung ließ sie erschauern.
Es genügt nicht, nach der Unsterblichkeit zu greifen , hatte Aethanus sie gelehrt. Man muss auch achtgeben, dass sie einem nicht durch die Finger gleitet.
Sobald ihre eigene Macht wiederhergestellt war, hatte sie ganz in der Nähe den Hauch einer fremden Macht gespürt. Ein Suchzauber. Fremde Zauberei war ihr schon unter gewöhnlichen Umständen nicht geheuer, im Moment versetzte sie jede Begegnung damit geradezu in Panik.
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