Die Seelenzauberin - 2
Sprache er abgefasst war. Schließlich umgab sie die Narben mit einem Zauber, der verhinderte, dass ihre Eingriffe nachträglich entdeckt oder ohne ihr Einverständnis die ursprüngliche Schrift wiederhergestellt würde. Rhys würden die Abweichungen nicht auffallen, davon war sie überzeugt. Und nun war dafür gesorgt, dass auch sonst niemand die Irreführung entdeckte, nicht einmal mithilfe von Zauberei. Sie hatte einen weiteren Schleier über die Geheimnisse der Zauberschrift gelegt.
Es tut mir sehr leid, mein Hüter. Ich kann dieses Wissen nicht einfach freigeben. Aber ich werde dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände gelangt, das verspreche ich dir.
Als sie fertig war, rollte er die Ärmel wieder herunter und band sich den Hemdkragen zu. Seine Bewegungen wirkten nicht mehr so schwerfällig, und er war auch nicht mehr ganz so blass wie zuvor. Dennoch bot die blutbefleckte Gestalt einen traurigen Anblick, und sie fragte sich, welchen Empfang man ihnen wohl bereiten würde, wenn sie unversehens … wo auch immer aus dem Nichts auftauchten.
Sie holte tief Atem, wendete sich nach innen und begann, die Macht zu beschwören.
Die Karte auf dem Tisch war ebenso alt wie die Messinggewichte – massive Blöcke mit dem aufgeprägten Wappen der Keirdwyn-Familie –, mit denen die Ecken beschwert waren. An der Südgrenze des Protektorates, etwa da, wo das Großkönigtum anfing, hatte man kleinere Markierungszeichen ausgelegt, sieben an der Zahl.
Der Erzprotektor Stevan Keirdwyn hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und studierte ein Zeichen nach dem anderen. Jedes Mal wurde seine Miene ernster. Seine Ratgeber waren an dieses nachdenkliche Schweigen gewöhnt und warteten geduldig, bis er zu sprechen geruhte.
»Diese Überfälle«, sagte er endlich. »Wie sicher können wir sein, von wo sie wirklich ausgehen?«
Der Feldmarschall sah ihn grimmig an. »Ihr habt die Beweise gesehen, Sire.« Er deutete auf den Tisch an der Wand, auf dem verschiedene Gegenstände zur Schau gestellt waren: ein Kurzschwert, wie es die Soldaten im Großkönigtum trugen; ein lederner Proviantbeutel, dessen Machart verriet, dass er im Krieg verwendet wurde; ein blutverschmierter Zinnknopf mit einem doppelköpfigen Habicht, der von einer Uniform stammte. »Die Seher bestätigen, dass alle Dinge militärischen Ursprungs sind. Das bedeutet …«
Stevan schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Ich weiß, was es bedeutet«, sagte er scharf.
»Gewiss, Sire.«
Sie stammten aus dem Großkönigtum. Daran gab es nichts zu rütteln. Sieben brutale Raubzüge hatten an Keirdwyns Südgrenze stattgefunden, Überfälle wie von Gebirgsbanditen – nur waren diese Banditen wie Soldaten bewaffnet und ausgerüstet gewesen. Und sie hatten sich verkleidet. Gut verkleidet. Die Bewohner der überfallenen Dörfer hatten geglaubt, Opfer gewöhnlicher Räuber zu sein. Die Frauen, die sie vergewaltigt hatten …
Zorn erfasste den Erzprotektor; er musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um sich nicht davon überwältigen zu lassen.
Ruhig. Ruhig. Wer die zivilisierte Welt schützen will, muss Ruhe bewahren.
Warum sollte Salvator so etwas gestatten? Was hatte er dabei zu gewinnen?
Salvator würde so etwas niemals anordnen. Das würde ihm schon sein Glaube verbieten.
Aber ein Herrscher konnte Dinge auch in Gang setzen, ohne sie ausdrücklich anzuordnen. Eine einzige Bemerkung in Gegenwart eines übereifrigen Ministers konnte zu Aktionen führen, die er selbst niemals gebilligt hätte. Einige Könige wie etwa Danton hatten diesen Umstand zu ihrem Vorteil genutzt und die Menschen manipuliert, ohne dass es jemals aufgefallen wäre. Später hatten Richter, die nicht so scharfsichtig – oder aufmerksam – waren, um dergleichen zu durchschauen, womöglich Männer zu verurteilen, deren einziges Verbrechen in blindem Gehorsam bestand.
Stevan wollte nicht glauben, dass der Sohn des Danton Aurelius – sein eigener Enkel! – so unvorsichtig sein könnte. Aber sonst gäbe es nur noch eine Erklärung, dass nämlich Salvator in Gefahr war, die Kontrolle über seine Nordgrenze zu verlieren, und auch das wäre bedenklich. Man hatte bei Gwynofars Vermählung mit Danton den Zweck verfolgt, einen dauerhaften Frieden in dieser Region zu sichern, damit sich sowohl das Protektorat wie das Großkönigtum mit anderen Dingen beschäftigen konnten. Danton mit neuen Eroberungen, Stevan mit seinen historischen Verpflichtungen. Salvator hatte geschworen, dieses
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