Die Seelenzauberin - 2
ich ihr das Geschenk der Unsterblichkeit machen, wenn ich könnte?
Er wusste keine Antwort.
Sanft fasste er sie an den Schultern und drehte sie wieder zu sich herum. Der fremdartige, verführerische Duft stieg ihm in die Nase und brachte unversehens sein Blut in Wallung. Er legte ihr die Hand auf die Wange und spürte, wie stark das Leben in ihr pulsierte. Sie wird nicht kampflos in den Tod gehen , dachte er.
»Ich kann dein Leben nicht über seine natürliche Spanne hinaus verlängern«, sagte er freundlich. »Aber ich werde dir in anderen Dingen helfen, wie ich es immer getan habe. Die Gefälligkeiten, die ich und meine Brüder dir bisher erwiesen haben, werden fortgesetzt, solange du auf dieser Erde wandelst. Das verspreche ich dir.«
»Und wenn ich dich brauche?«, flüsterte sie. »Was dann? Ich kann dich ja nicht mehr rufen.«
Die Frage rief ihm etwas in Erinnerung, das er vergessen hatte. Sie alle hatten es vergessen. Er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihr nicht zu zeigen, wie sehr ihn die Erkenntnis erschreckte.
Sie besaß Gegenstände von allen Zauberern, die einmal ihre Liebhaber gewesen waren. Persönliche Dinge, mit deren Hilfe sie jeden Einzelnen zu sich rufen … oder mit einem Fluch belegen konnte, wenn sie das wollte. Was würde nach ihrem Tod mit dieser Sammlung geschehen? Welcher Magister würde sie als Erster an sich bringen? In dem Krieg der ausgeklügelten Gemeinheiten, den die Magier untereinander führten, um die Langeweile der Unsterblichkeit zu vertreiben, wäre eine solche Sammlung unbezahlbar.
Colivars Unterpfand hatte sie nicht mehr. Das fiel ihm jetzt wieder ein. Sie hatte ihn damit gerufen, als der Bote von Corialanus die Nachricht von dem Seelenfresser brachte, und er hatte es nie ersetzt. Er war also in Sicherheit. Die anderen konnten das nicht von sich behaupten.
»Wir bleiben in Verbindung«, versprach er leise. Zugleich überlegte er fieberhaft, wo sie diese Dinge aufbewahren mochte und mit welchen Zaubern sie wohl geschützt waren. »Ich werde spüren, wenn du mich brauchst, und dann werde ich kommen.«
Die schwarzen Augen strahlten vor Dankbarkeit. Sie zögerte kurz, dann nahm sie ihn in die Arme, krallte die Finger in sein langes Haar, vergrub ihr Gesicht an seinem Hals und presste sich mit der verzweifelten Kraft einer Ertrinkenden an ihn. Und als er seinerseits die Arme um sie legte, brach sie in Tränen aus. All ihre Ängste, all ihre Unsicherheit lösten sich in tiefen, herzzerreißenden Schluchzern. Er war versucht, ihre Gefühle mit Zauberei etwas zu dämpfen, doch dann dachte er: Nein. Du darfst nicht mit ihr spielen wie mit einer gewöhnlichen Morata. Sie hat Besseres verdient. Und so hielt er sie nur fest, bis die Flut von selbst versiegte. Bis sie die Umarmung von sich aus löste und einen Schritt zurücktrat.
»Es tut mir so leid, Colivar …« Sie verschränkte die Arme so, dass ihre Hände nicht mehr zu sehen waren, und hauchte kaum hörbar: »Diese Last brauchst du nicht zu tragen.«
Er beschwor ein Taschentuch und wischte ihr die Tränen vom Gesicht. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Allenfalls dafür, dass du Männer zu Freunden hast, die deiner nicht würdig sind.«
Sie schlug die Augen nieder und nickte. Er sah, wie sie zitternd um Fassung rang. Aber er sah auch, dass sie den Kampf verlieren würde. Irgendwann schaute sie mit großen, gequälten Augen zu ihm auf und sagte: »Colivar, das ist alles zu viel für mich. Dein Besuch heute … ich war nicht darauf vorbereitet. Würdest du … könntest du verstehen, wenn ich eine Weile allein sein möchte? Um alles zu verarbeiten? Es tut mir so leid …«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, versicherte er ihr noch einmal. Er küsste sie ein letztes Mal sanft auf die Stirn und spürte, wie sie unter der Berührung erbebte. So viel Schmerz. So viel Angst. Er wünschte aufrichtig, ihr in welcher Weise auch immer helfen zu können.
»Ich komme wieder«, versprach er. Und schickte ein paar geflüsterte Worte hinterher, um ihr den Abschied leichter zu machen.
Doch ihr Kummer stand schon nicht mehr im Mittelpunkt seines Denkens, und als er schließlich weit genug vom Palast entfernt war, um sicher sein zu können, dass sie ihn nicht mehr beobachtete, wob er einen Faden der Macht und schickte ihn auf die Suche nach den Liebespfändern. Er gab dem Zauber eine Stunde Zeit, doch nach Ablauf dieser Frist hatte er nichts gefunden. Seltsamerweise war er darüber erfreut.
Sie
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