Die Seelenzauberin - 2
Als Lyra ist dir die Bedeutung eines solchen Kontrakts bewusst. Unsere Geschlechter sind verpflichtet, im Dienste eines höheren Auftrags über die Tagespolitik hinaus zu planen. Wir wollen vermeiden, Zeit und Menschenleben mit kleinlichen Grenzstreitigkeiten zu vergeuden. Danton wiederum wollte seine imperialistischen Bestrebungen auf andere Ziele lenken, ohne fürchten zu müssen, dass wir hinter seinem Rücken einen Streit anfingen, während er anderswo seine Kräfte erprobte.«
»Das Bündnis hat uns gute Dienste geleistet«, pflichtete sie ihm bei.
»Und Salvator steht dazu?«
Die Frage schien sie zu überraschen. »Aber selbstverständlich.«
Die Augen des Erzprotektors wurden schmal. »Du solltest wissen, dass seit einiger Zeit an unserer gemeinsamen Grenze Überfälle auf unsere Untertanen stattfinden. Angeblich sind sie das Werk von Banditen, aber man hat Teile der Ausrüstung seiner Soldaten gefunden. Wenn Salvators Männer die Angriffe nicht selbst durchführen, dann unterstützen sie aber offenbar die eigentlichen Täter.«
Gwynofars Augen sprühten Blitze. »Salvator hat keinen Grund, so etwas zu tun.«
»Seine Abneigung gegen die Protektorate ist wohlbekannt. Sein Schöpfergott missbilligt unseren Auftrag, oder willst du das bestreiten?« Wieder trommelte er mit rastlosen Fingern auf den Tisch. »Vielleicht glaubt er, seinem Gott einen Dienst zu erweisen, wenn er die Lyr von ihren Wächterpflichten ablenkt.«
Seine Frau legte sacht ihre Hand auf die seine, bis die Finger zur Ruhe kamen.
»Ich will nicht bestreiten, dass seine Religion widerwärtige Züge trägt«, gab Gwynofar zurück. »Aber er ist Dantons Sohn und weiß, dass seine oberste Pflicht darin besteht, die Sicherheit seines Reiches zu gewährleisten. Banditen auszuschicken, um einen Verbündeten zu drangsalieren, wäre dazu ohne jeglichen Zweifel nicht der richtige Weg.«
Der Erzprotektor nickte, aber seine Miene wurde nicht freundlicher. »Und wo kommen die Gegenstände her?«, fragte er angriffslustig.
Gwynofar zögerte kurz, dann griff sie in ihren Beutel und zog ein breites Messingarmband hervor. »Vielleicht aus derselben Quelle wie das hier?«
Sie hielt das Armband ins Licht, damit alle die eingeritzten Muster sehen konnten. Kamala hörte, wie der Oberste Hüter scharf die Luft einzog.
»Woher habt Ihr das?« Favias erhob sich und wollte nach dem Schmuckstück greifen.
»Es wurde dem Leichnam eines Skandir-Räubers abgenommen. Die Skandir landeten vor einigen Tagen mit drei Schiffen voll Männern und Frauen, überfielen die Hafenstadt Soladin und ließen so gut wie nichts und niemanden am Leben.« Sie reichte ihm das Armband und beobachtete ihn, während er es hin und her drehte und die Gravuren studierte. »Es ist das Armband eines Heiligen Hüters, nicht wahr?«
Favias sah Rhys scharf an und reichte ihm das Beweisstück.
»Namanti«, flüsterte Rhys. Er war totenbleich geworden. »Sie trug es, als wir Keirdwyn verließen.«
Favias wandte sich an Gwynofar; seine Stimme war fest, aber man sah ihm an, welche Anstrengung ihn das kostete. »Damit wir uns richtig verstehen, Majestät. Ihr behauptet, Heilige Hüter von Skandir hätten an Eurer Küste geplündert und gemordet?«
Gwynofar richtete sich hoch auf. »Ich habe Euch gezeigt, was eine Angehörige des Trupps trug, als sie mithalf, meine Untertanen abzuschlachten. Wenn sie nicht zu Euren Leuten gehörte, dann erklärt Ihr mir, was das zu bedeuten hat.«
»Schmuck kann gestohlen werden«, wehrte er sich. »Man kann ihn verkaufen. Oder verlieren.«
Gwynofar sah Ramirus an.
»Das Armband wurde in Soladin dem Leichnam seines wahren Besitzers abgenommen«, sagte der Magister ruhig. »Ich selbst habe mich davon überzeugt. Es tut mir leid.«
Favias holte tief Luft. »Mit allem schuldigen Respekt, woher wollt Ihr wissen …«
» NEIN !« Rhys schlug krachend mit der Faust auf den Tisch. Dann stand er so plötzlich auf, dass der schwere Eichenstuhl hinter ihm zu Boden polterte. »Namanti war bei mir . Sie kam in Alkal ums Leben. Ich war Zeuge, als sie unter ihr Pferd geriet und von ihm erdrückt wurde …«
Er brach jäh ab, als ihm die Wahrheit zu Bewusstsein kam.
Mit einem heiseren Aufschrei der Wut – oder der Trauer? – wandte er sich ab und strebte zur Tür.
»Rhys!« Gwynofar streckte die Hand aus, um ihn aufzuhalten, doch er schien sie gar nicht wahrzunehmen. Fast im Laufschritt stieß er die Eichentüren so heftig auf, dass die draußen wartenden Diener
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