Die Seelenzauberin - 2
aber ein Menschenkörper war für solche Freuden nicht geschaffen. Stattdessen nahm Siderea in jede Hand ein Ende der Hemdschnur, zog sie nach oben und nach hinten und drückte sie gegen den Hals der Rivalin. Petrana riss überrascht die Augen auf, griff nach der Schnur und versuchte sie zu lösen, aber Siderea war zu stark. Sie riss ihre Besucherin von den Füßen, sodass ihr eigenes Gewicht mithalf, sie zu erdrosseln. Verzweifelt zerrte Petrana mit beiden Händen an der Schnur, aber die hatte sich bereits tief ins Fleisch gegraben und ließ sich nicht mehr entfernen. Das Entsetzen trieb ihr die Augen aus den Höhlen, sie öffnete den Mund zu einem Schrei, brachte aber nur ein Gurgeln zustande. Als sie mit hektisch scharrenden Füßen auf dem Boden Halt suchte, rutschte sie auf den herumliegenden Kleidungsstücken aus und stürzte. Siderea glaubte, in ihrem Nacken ein Knacken gehört zu haben, aber sie ließ die Schnur nicht los, sondern zog sie gegen das Gewicht der jungen Frau nach oben.
Die Hände hörten auf zu flattern. Die Beine wurden schlaff. Siderea spürte, wie sich Petranas Blase entleerte und ihr der warme Urin über die Beine rann. Durch ihren Kopf gellte wortloses Triumphgeschrei.
Dann hörte das Zappeln auf. Die blassen Hände zerrten nicht mehr an der Schnur, sondern sanken schlaff herab. Der eben noch warme, lebende Körper lag wie totes Gewicht in Sidereas Armen, und sie ließ ihn mit einem dumpfen Schlag zu Boden fallen.
Das tut gut , gurrte eine innere Stimme.
Siderea blinzelte, als erwache sie aus einer Trance, starrte wie benommen auf den zusammengesunkenen Körper zu ihren Füßen und suchte zu begreifen, was geschehen war. Verwirrt schaute sie in den Spiegel. Und wieder zurück zu dem Leichnam.
Was war das?
Alles verschwamm vor ihren Augen. Die Gerüche – nach Urin, triebhafter Lust, aber auch Angst – waren mit einem Mal überwältigend stark, und sie wurde von jähem Brechreiz erfasst.
Was habe ich getan?
Entsetzt betrachtete sie den Körper, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Petranas Blick war leer, die Augen waren blutunterlaufen und starrten zur Decke. Siderea fröstelte und tastete nach ihrem Gewand, um ihre Blöße zu bedecken. Was habe ich getan?
Durch ihren Kopf gellte das Triumphgeheul der Seelenfresser-Königin. Ungeformte Tierinstinkte formten sich zu Worten: Du hast geschützt, was von Rechts wegen nur uns gehört.
»Das war nicht richtig!«, flüsterte sie heiser. »Die Frau war eine Verbündete!« Das animalische Grauen trat allmählich in den Hintergrund, aber der Schrecken über die politische Katastrophe war nicht minder belastend. Wie verhinderte man, von einer solchen Tat in den Untergang gerissen zu werden? Was sollte sie Petranas Familie erzählen? Es ging weniger darum, dass das Mädchen tot war – Morde waren in den Freien Landen an der Tagesordnung –, als dass die Tat so dreist, so offen verübt worden war. Ganz zu schweigen davon, dass die beste Gelegenheit der Freien Lande, Einfluss am Hof des Großkönigs zu gewinnen, nun in ihrem eigenen Urin tot auf dem Boden ihres Palastes lag. Konnte ein Monarch, der so fahrlässig handelte, noch bei Verstand sein?
Sie musste den Leichnam säubern. Mit Hexerei ließen sich die Spuren des Mordes tilgen und durch Symptome ersetzen, die von einer natürlicheren Todesursache zeugten. Petrana war zu Besuch gekommen, hatte über Schwindel geklagt und kurz darauf einen Anfall erlitten, der sie so schnell das Leben kostete, dass selbst Sidereas Hexenkünste sie nicht mehr retten konnten. Nicht einmal ein Magister konnte Tote auferwecken.
Ihre Familie würde das gerne glauben, redete sie sich ein. Nicht, weil sie der Hexenkönigin einen Mord nicht zugetraut hätte, sondern weil sie wusste, dass Siderea niemals so bedenkenlos ihren eigenen Ruf aufs Spiel setzen würde. Wenn Siderea Aminestas jemanden töten wollte, geschähe das mit Gift in der Nacht, durch den Kuss eines namenlosen Dolchs an einem unbekannten Ort oder auch durch Hexerei, ohne dass jemand es bemerkte oder Verdacht schöpfte. Aber nicht auf eine solche Weise. Niemals.
Mit immer noch zitternden Händen sammelte sie die Kleider der Toten auf und beschwor die Macht, die sie brauchte, um ihren Plan in Gang zu setzen. Sie musste vertuschen, dass sie eine Verbündete ermordet hatte.
Eine Königin hat keine Verbündeten , erklärte das Seelenfresser-Weibchen.
Kapitel 22
Der braune Ledereinband sah abgegriffen aus, und die alten Pergamentblätter waren gelb
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