Die Seelenzauberin - 2
wandelt.«
Sie nickte und murmelte überrascht, sie fühle sich geehrt. Das Leben hatte sie auf solche Episoden nicht vorbereitet.
Ganz zuletzt verabschiedete sich der Erzprotektor von seiner Tochter. Auch Gwynofar trug Männerkleidung, an ihr wirkte sie allerdings nicht so überzeugend. Ihr zarter Körperbau und die feinen Züge standen in krassem Widerspruch zu ihrer Tracht, und ihre Haltung ließ die selbstverständliche Arroganz bewaffneter Männer in Uniform vermissen. Aber sie stand aufrecht und hielt den Kopf unter dem forschenden Blick ihres Vaters hoch erhoben, und Kamala ahnte wieder einmal, wie viel Kraft sich in dieser zierlichen Frau verbarg.
Der Erzprotektor umarmte seine Tochter feierlich und drückte sie lange an sich. »Gib auf dich acht«, flüsterte er. »Und komm gut nach Hause, wenn alles vorüber ist.«
»Das werde ich«, versprach sie ihm.
Stevan Keirdwyn trat zurück und gab seinen Männern ein Zeichen. Ein Soldat nach dem anderen trat vor und führte sein Pferd am Zügel durch das Zauberportal. Den Tieren war das sichtlich nicht geheuer, und sie schnaubten aufgeregt, wenn die flimmernde Luft sie verschlang, aber sie waren gut ausgebildet, und letztlich gehorchten sie alle. Wenn der Zauber sie erfasste, war es, als stiegen sie in einen Teich: Eben hatte sich noch die Oberfläche gekräuselt, und gleich darauf waren sie verschwunden.
Nun war Rhys an der Reihe. Kamala trat vor und ergriff seine Hand. Als sie trotzig zu Ramirus aufschaute, glaubte sie, in seinen Augen ein belustigtes Funkeln zu sehen. Vielleicht sogar so etwas wie Anerkennung. Sie glaubte zwar nicht, dass er das Portal über ihr zusammenbrechen lassen würde, aber es war wohl besser, ihn nicht in Versuchung zu führen.
Auf die Zauberei eines anderen Magisters zu treffen, das war immer wie ein Kälteschock. Sie machte sich darauf gefasst, schloss die Augen, drückte Rhys’ Hand und trat in das Flimmern.
Alkal erwartete sie.
Kapitel 25
Anukyat erinnert sich:
Die Seher wollten abziehen.
Anukyat konnte sie nicht aufhalten. Dabei hatte er, die Götter wussten es, alles versucht. Er hatte ihnen ihre Pflicht vorgehalten wie eine Kriegsfahne und sich bemüht, das Feuer ihres Gewissens anzufachen. Das hatte sie demütig gemacht, hatte sie verstummen lassen. Einige hatten sogar geweint, als sie ihren Posten verließen, denn sie wussten, dass sie damit die Aufgabe verrieten, die ihnen die Götter einst gestellt hatten.
Aber …
Er spürte es im Schlaf. Ein Hämmern im Kopf, so heftig, dass es ihm den Schädel zu sprengen drohte. Eine Vorahnung, so schwarz und finster, dass sie alle Träume zu Albträumen verzerrte. Menschliche Schreie dicht unter der Hörschwelle und die Angst vor dem Augenblick, wenn sie schließlich durchbrächen und vernehmbar würden.
Mit schierer Willenskraft konnte er diese Qualen unterdrücken, wenn es nötig war; das tat er nun schon seit einiger Zeit. Aber die Seher waren empfänglicher für störende mentale Einflüsse, und andauernd Schutzzauber aufrechtzuerhalten würde sie einfach zu viel Energie kosten. Nicht einmal die Götter konnten verlangen, dass sie ihr Leben so achtlos wegwarfen. Das war jedenfalls ihre Begründung gewesen, als sie ihm schließlich erklärten, dass sie abziehen würden. Alle Befehle der Welt seien sinnlos, sagten sie, wenn sie stürben, bevor sie sie ausführen konnten.
Sie hatten auch ihm geraten, die Gegend zu verlassen. Der Heilige Zorn erweitere seinen Einflussbereich, und kein Mensch könne ihn aufhalten. Heute lecke seine schreckliche Macht bereits an den Füßen der kleinsten Schwester; morgen könnte sie schon die ganze Zitadelle verschlingen. Wollte Anukyat noch hier sein, wenn es dazu kam? Was würde er tun, wenn seinen Hütern allmählich der Verstand abhandenkäme und keine Hexen und Hexer mehr da wären, um ihnen bei der Genesung zu helfen?
Ich muss bleiben , erklärte er ihnen ungerührt. Das ist meine Pflicht.
Bald würden auch die Letzten fort sein.
Der Himmel im Norden war nicht mehr rot. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Noch vor wenigen Monaten waren Sonnenuntergänge dunkelviolett gewesen wie gequetschtes Fleisch, und am nördlichen Horizont hatten sich Wolken so rot wie frisches Blut aufgetürmt. Die Seher waren über weite Teile des Winters durch Träume von Feuer und Asche geplagt worden, und einige waren schreiend aus dem Schlaf geschreckt. Brennende Leiber! , hatten sie gekeucht. Ihre Laken waren schweißnass gewesen. Himmel
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