Die Seelenzauberin - 2
Trägerin.
»Ich danke Euch, Kamala.« Nur zu gerne hätte er sie mit weiteren Fragen bestürmt – wo war sie hergekommen, wie hatte sie von seiner Notlage erfahren, warum hatte sie für seine Befreiung ihr Leben riskiert? –, aber dafür schien jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Außerdem waren sie noch nicht außer Gefahr. »Ich werde Euch alles vergelten, was Ihr heute für mich getan habt. Ich schwöre es.«
Sie antwortete nicht, wendete aber ihr Pferd und ritt wieder an. Anstatt sich jedoch nach Süden zu halten, wie er es erwartet hätte, bog sie auf einen Seitenpfad ab, der ungefähr nach Osten führte. Dann blieb sie stehen und wartete auf ihn.
Diesmal war die Überraschung auf seiner Seite. »Habt Ihr Eure Pläne geändert?«
»Keineswegs.« Ihre Augen funkelten im Mondlicht wie zwei Smaragde. »Wollten wir nicht nach Norden? Zurück zu den Speeren? Das hattet Ihr doch vor?« Sie deutete auf die zertrampelte Erde. »Wir können diesem Pfad noch eine Weile folgen, um die Verfolger zu täuschen, und ihn später verlassen, um nordwärts zu reiten.«
»Ich dachte … Ihr hattet doch gesagt, wir müssten nach Süden.«
»Richtig – solange der Wärter uns zuhörte. Ist Euch denn nicht aufgefallen, wie still er sich verhielt, als ich von unseren Plänen sprach? Ich sollte nicht merken, dass er wieder zu sich gekommen war. Morgen früh oder wann immer man ihn findet, wird er mit dieser wertvollen Auskunft den Zorn seines Herrn beschwichtigen. Und die Gardisten werden wissen, wo sie nach uns zu suchen haben. Nichts als gute Nachrichten, nicht wahr?« Die Smaragdaugen glitzerten. »Aber nur, wenn wir nicht die ganze Nacht hier herumstehen und uns die Köpfe heiß reden.«
Sie lächelte, dann schaute sie wieder nach Osten und ritt los. Er zögerte kurz, dann berührte er mit den Fersen die Flanken seines Pferdes und folgte ihr.
Mut und Glück.
Ihr habt Euer Leben eingesetzt, um mich zu befreien.
Seltsame Worte, die Kamala unangenehm berührten. Sie wusste nicht, was sie davon zu halten hatte.
Hatte sie das wirklich getan? Hatte sie jenes ewige Leben aufs Spiel gesetzt, für das sie einst ihre Seele verkauft hatte? Ein Leben, das nun an diesem Ort, wo alle Zauberei zunichte wurde oder sich sogar gegen ihren Urheber richtete, durch einen einzigen Schwertstreich beendet werden konnte?
Bisher hatte sie ihr Verhalten noch nie in diesem Licht betrachtet, hatte weder ihre eigenen Motive ausgelotet noch die Gefahren ihres Tuns erwogen. Sie wusste nur, dass sie unglaublich wütend gewesen war, weil man ihr den Heiligen Hüter gestohlen hatte, mit dem sie ihre eigenen Pläne verfolgte. Vielleicht auch schuldbewusst, weil sie seine Gefangennahme nicht hatte verhindern können. Frustriert, weil sie ein Mittel gefunden hatte, kostbares Wissen zu sammeln, nur um es sich dann wieder entreißen zu lassen. Und überheblich, weil sie nicht zugeben wollte, dass es einen Mann gab, den sie nicht überlisten oder – notfalls – verführen konnte.
Sie war töricht gewesen. Sie hatte sich in Gefahr begeben. Sie war ein hohes Risiko eingegangen.
Aber es hat sich doch gelohnt , tröstete sie sich. Du hast dir Wissen beschafft, über das nicht einmal die Magister verfügen. Wissen, mit dem du dir wichtigere Dinge erkaufen kannst.
Hoch oben im Norden wartete der Heilige Zorn.
Kapitel 13
Mitternacht.
Siderea Aminestas fuhr jäh aus tiefem Schlaf. Ihr Herz raste wie nach einem heftigen Schrecken, aber im Halbdunkel ihres Schlafgemachs war alles friedlich und still, sie spürte lediglich die Anwesenheit ihrer Zofe, die draußen vor der Tür schlief.
Was also hatte sie geweckt? Sie richtete ihre Aufmerksamkeit nach innen, um einen Hinweis, eine Erinnerung an das zu erhaschen, was sie gestört hatte, aber sie fand nur zusammenhanglose Traumfetzen, die ihr nicht weiterhalfen.
Sie stieg aus dem Bett und schlüpfte – eher gewohnheitsmäßig, nicht, weil es nötig gewesen wäre – in einen goldfarbenen Mantel aus feiner Seide. Die Nacht war angenehm warm, und vom Hafen trug ein lauer Wind die Düfte des Sommers herüber. Dennoch hatte sie das Bedürfnis, sich einzuhüllen. Sie musste ihre Hände beschäftigen, bis sie sich wieder gefasst hatte.
Aber ihr Herz wollte nicht ruhiger werden. Wusste ihr Körper etwa mehr als ihr Verstand? Hatte sie noch so viel Hexenkraft in sich, dass ihre Seele spürte, wenn etwas nicht stimmte und sie sich deshalb fürchten oder vielleicht aufgeregt sein sollte, ohne dass ihre
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