Die Seelenzauberin - 2
ihr Messer in der Hand und wartete nur auf sein Zeichen. Wenn er es wollte, würde sie den Störenfried ohne Zögern angreifen und vielleicht auch töten.
Nun glitt der Lichtstrahl in ihren Verschlag, spielte über den Kopf und die Mähne des Pferdes und wanderte auf den vorderen Rand der Decke zu, die Rhys ihm übergeworfen hatte. Das Tier wieherte leise und wandte sich ab, und schon waren die Stimme und die Laterne weitergezogen.
Sie mussten lange im Dunkeln warten, bis sie hörten, wie der Mann seine Runde beendete und den Stall verließ. Und auch dann blieben sie, wo sie waren. Sie durften sich keinen Fehler erlauben.
Irgendwann lugte die Frau um die Ecke und nickte. »In Ordnung«, flüsterte sie. »Er ist weg.« Aber sie behielt das Messer in der Hand, und während Rhys sich wieder mit Sattel und Zaumzeug beschäftigte, stand sie, wachsam wie ein Berglöwe, der auf Beute lauert, an der Stalltür.
Endlich waren beide Pferde bereit. Er führte sie aus den Verschlägen, reichte ihr die Zügel des kleineren und schwang sich auf das seine. »Wir reiten so hinaus, als gehörten wir hierher, so hattet Ihr Euch das doch gedacht? Wir verlassen uns darauf, dass es normalerweise keinen Grund gibt, die Gardisten beim Verlassen der Zitadelle allzu genau zu kontrollieren?«
Die Frau nickte. »Wenn das Tor offen ist, sollten wir keine Schwierigkeiten haben. Wenn nicht, dann retten uns, wie bereits gesagt, nur … die Hinterlist und der Segen der Götter.«
Sie setzte den Fuß in den Steigbügel und wollte aufsteigen, doch bei ihrem ersten Versuch verlor sie das Gleichgewicht und landete mit einem leisen Fluch wieder auf dem Boden. Beim zweiten Mal hatte sie mehr Erfolg … aber das Manöver ließ jede Grazie vermissen.
Er beugte sich vor, griff ihr in die Zügel und wartete, bis sie ihn ansah. »Ihr könnt nicht reiten, nicht wahr?«
Die Zornesröte stieg ihr in die Wangen. »Und ob ich reiten kann.«
»Wie gut?«
»Gut genug«, fuhr sie ihn an. Doch das winzige Zögern davor sprach Bände.
Missmutig murmelte er die Namen mehrerer Götter des Nordens vor sich hin. Hast du überhaupt eine Ahnung, was ein Reiter können muss, um sich bei Mondschein in diesem Gelände zu bewegen? Die Frage erübrigte sich. Sie wusste es ganz offensichtlich nicht.
Der Gott des Schabernacks lachte sich inzwischen sicherlich halb tot.
»Der Posten wird wahrscheinlich links stehen«, sagte sie. »Ich gleiche im Moment mehr einem Einheimischen als Ihr, deshalb gehe ich auf diese Seite.«
Er sagte rundheraus: »Nein.«
»Ihr seid zu groß, um als Einheimischer durchzugehen«, erklärte sie. »Es ist besser, wenn er mich genauer in Augenschein nimmt.«
»Auf die Größe kommt es im Dunkeln nicht so sehr an, wenn alles andere stimmt. Während ein Gardist, der nicht reitet wie ein Gardist, bei jedem Licht enttarnt wird.«
Wieder blitzten ihre Augen zornig auf. Sie wollte mit ihm streiten; er konnte es förmlich riechen. Aber sie tat es nicht.
»Hier«, sagte sie schließlich und streckte die Hand aus. »Das werdet Ihr brauchen.«
Es war ein Zylinder aus gehämmertem Kupfer, wie ihn Kuriere verwendeten, um ihre Dokumente auf Reisen vor Beschädigungen zu schützen. Er nickte. Das letzte Steinchen des Mosaiks fiel an seinen Platz. Er verstand ihren Plan.
Und dieser Plan war nicht schlecht, nur völlig verrückt und lebensgefährlich.
Gemeinsam strebten sie den Stalltüren zu. Sie hielt sich auf der rechten Seite etwas hinter ihm, sodass der Posten sie vom Wachhäuschen aus schlecht sehen konnte. Hoffentlich blieb sie auch dran, wenn ihre Reitkünste mehr gefordert wurden.
Als sie draußen waren, trieb Rhys sein Pferd in einen leichten Galopp, und sie folgte ihm. An sich waren sie damit zu schnell, sie würden nicht einmal eine Minute brauchen, um das Tor zu erreichen. Aber die Alternative wäre Trab gewesen, und in dieser Gangart verriet sich die Unerfahrenheit eines Reiters am schnellsten. Außerdem mussten sie so tun, als hätten sie einen dringenden Auftrag, wenn der Plan gelingen sollte.
Er richtete die Aufmerksamkeit auf den Ausgang und den Gardisten in Uniform, der ihn bewachte. Das Tor war geschlossen, aber das hatte er so spät in der Nacht nicht anders erwartet. Wenn der Posten es nicht rechtzeitig öffnete, würden sie geradewegs hineinreiten. Auch das war Teil des Plans.
Mut und Glück braucht der Mensch, nicht wahr?
Die Hufschläge erregten wie erwartet die Aufmerksamkeit des Postens. Rhys hob den Zylinder, als sich der
Weitere Kostenlose Bücher