Die Seevölker
den
Sothisaufgang im Jahr des Kanopusdekrets gefunden.1
Wenn jedoch +139 ein Großes Jahr endete und ein anderes begann,
muß dieses Ereignis zu Lebzeiten von Claudius Ptolemäus eingetroffen
sein, genauer mitten in der produktiven Schaffensperiode (+127 bis
1 Vergl. Säve-Söderbergh, a. a. O. S. 37. 248
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+151) dieses größten Astronomen des Altertums. Claudius Ptolemäus
lebte in Alexandrien. Nirgendwo in seinen Schriften wird das Ereignis
jemals erwähnt, noch zeigte er eine Kenntnis von Sothisberechnungen,
obwohl er astronomische Kalenderfragen seiner Zeit sowie vorange-
gangener Jahrhunderte sehr detailliert behandelte, indem er sogar ba-
bylonische Aufzeichnungen von Finsternissen 800 Jahre vor seiner Zeit
studierte. In Alexandrien lebend und sich mit dieser Materie beschäfti-
gend, wie konnte ihm das Eintreffen des neuen Großen Jahres in
Ägypten unbekannt bleiben oder wie konnte er darüber schweigen?
Es ist in diesem Zusammenhang auch nützlich, die rückläufige
astronomische Kalkulation der heliakischen Siriusaufgänge im Him-
mel Ägyptens anzusehen. Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurden sol-
che Berechnungen von Percy Davis angestellt. Im Jahr +139 gab es in
Ägypten nach seiner Untersuchung keinen heliakischen Aufgang des
Sirius am 1. Thot, trotz Censorinus' Behauptung: An diesem Datum
erschien Sirius ungefähr eine Stunde vor Sonnenaufgang und war
demnach hoch im südlichen Himmel vor der Dämmerung. Auch für
die drei weiteren Daten, an welchen die drei vorangegangenen
Sothisperioden hätten beginnen müssen, fand Davis, daß Sirius etwa
eine Stunde vor Sonnenaufgang erscheint. Wenn diese Berechnungen
korrekt sind, repräsentieren diese vier Daten nicht den heliakischen
Aufgang des Sirius am Himmel Ägyptens.
Das Sothisfest muß sich deshalb »auf ein anderes Himmelsphäno-
men als einen heliakischen Aufgang beziehen«. »Bezog es sich nur auf
das Erscheinen [nicht heliakisch] des Sirius am nächtlichen Himmel?
Wenn ja, wäre eine völlig neue Reihe von Kalkulationen notwendig,
und es ist zweifelhaft, ob daraus genügend präzise Daten für die
Grundlage eines chronologischen Systems abgeleitet werden könn-
ten.«2
Die Chronologie Ägyptens wurde nicht revidiert. Zu dieser Zeit
waren die Ägyptologen schon der Ansicht, daß eine Änderung nicht
2 G. Legge, in Recueil de travaux relatifs à laphilologie et l’archéologie égyptiennes et assyriennes, XXXI, La Mission Française du Caire (Paris, 1909), 106-12. Die Schlußfolgerungen von Legge folgten Kalkulationen von Percy Davis. Es sollte aber beachtet werden,
daß die Kalkulationen von Davis falsch sein könnten. Vielleicht benutzte er den 1. Thot des Alexandrinischen Kalenders (30. August 139), anstelle des 1. Thot des ägyptischen
Kalenders (20. Juli 139).
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vorgenommen werden könnte: die Struktur des historischen Gebäudes
war bereits völlig starr, oder, wie Breasted es nannte, »mathematisch
sicher«.3
Die eigentliche Identifikation von Spdt (Sothis) mit Sirius wurde
ebenfalls in Frage gestellt. Duncan Macnaughton versuchte in einem
ausführlichen Werk nachzuweisen, daß Spdt der Stern Spica des südli-
chen Sternbildes Virgo und nicht Sirius war.4 Um von der gelehrten
Welt akzeptiert zu werden, sind jedoch angesichts der nachdrücklichen
Behauptung Censorinus die Chancen für eine Neuidentifikation des
Sterns Spdt gering. Deshalb ist die Frage leicht boshaft: Wäre es mög-
lich, daß mit Spdt der Stern Kanopus gemeint ist? Sirius ist der hellste
unter den Fixsternen, Kanopus ist der zweithellste Stern und damit
heller als alle anderen außer Sirius.5 Kanopus steht südlich von Sirius,
auf einer fast geraden Linie von diesem zum südlichen Himmelspol,
und diesem näher; noch auf der Höhe von Palermo wird er niemals
gesehen, obwohl dies vielleicht von der Höhe des Ätna während eini-
ger Tage des Jahres möglich sein könnte. In Ägypten ist sein jährliches
Erscheinen während einer begrenzten Zeit spektakulär. Die Tatsache,
daß das Dekret zur Fixierung des Neujahres (1. Thot) auf den jährli-
chen heliakischen Aufgang der Spdt durch ein Priesterkonklave in der
Stadt Kanopus erklärt wurde, scheint eine solche Identifikation zu un-
terstützen. Kanopus war der legendäre Pilot des Menelaus, Bruder des
Agamemnon, Führer der Griechen vor Troja; nach der Legende starb
Kanopus in Ägypten, und die Stadt seines Todes am westlichsten Nil-
arm des Deltas (heute
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