Die Seevölker
Böotien; die im Exil lebenden Thebaner eroberten
Kadmeia im Handstreich zurück. Die Athener gingen ein Bündnis mit
den Thebanern ein. Im Jahr –376 vernichtete der athenische Admiral
Chabrias in einer Entscheidungsschlacht die spartanische Flotte bei der
Insel Naxos.
Im folgenden Jahr »zog der König Artaxerxes gegen die Ägypter zu
Felde, die sich gegen die Perser empört hatten«.4 Diodor gibt eine
Schilderung von dieser Expedition und von ihrem unheilvollen Ende –
die einige Seiten später in diesem Buch wiedergegeben werden soll –
und kehrte dann wieder zu den politischen Zuständen in den griechi-
schen Einzelstaaten zurück; er schrieb: »In Griechenland gab es Volks-
bewegungen wegen der ungewohnten Verfassung in den Städten und
bei der allgemeinen Anarchie entstanden manche Empörungen …«5
Diese Lage zeigt Griechenland im Aufruhr. Der Korinthische Krieg
war kaum beendet, da begann sich bereits ein neuer Krieg zwischen
den griechischen Stadt- und den Inselstaaten zu entwickeln.
Auf dem zweiten Pylon seines Totentempels in Medinet Habu
schrieb Ramses III., daß »die Inseln« voller Unruhe und unter sich völ-
lig zerstritten waren:
»Die Fremdländer (Nordvölker) verschworen sich untereinander.
3 Diodor's von Sicilien historische Bibliothek, Übers, v. Julius Friedrich Wurm, Stutt-
gart 1827-1859, XV, 38 und 40.
4 a.a.O., XV, 41.
5 a.a.O., XV, 45.
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So waren plötzlich die Staaten verschwunden und zerstreut. Kein Land
konnte vor ihren Waffen bestehen: Hatti, Kolj [die »Einbuchtung« der
syrischen Küste im Golf von Iskanderun], Karkemisch, Arjuwa [im
Norden Syriens], Alasia [Zypern], auf einmal abgeschnitten. Sie schlu-
gen ihr Lager an einer Stelle in Amurru [Syrien] auf …«6
Diese Worte klingen in der Tat wie die Schilderung der Lage vor
der Invasion der Perser in Ägypten: Seit den Tagen, als die Spartaner
unter Agesilaos Kleinasien erobert hatten, befanden sich die griechi-
schen Inseln in einem verwirrenden wechselseitigen Kriegszustand,
und Sizilien und Zypern waren in Kriege und Aufstände verwickelt.
Von dem »an einer Stelle in Syrien errichteten Feldlager« werden
wir bei Diodor eine detailliertere Beschreibung finden. Aber bevor wir
fortfahren, werden wir einige Fragen stellen und Antworten finden.
6 J. B. Pritchart, Ancient Near Eastern Text 262/3, übersetzt von W. Helck. Der Autor verwendet in der englischen Originalausgabe Breasted, Ancient Records of Egypt, IV, Abschnitt 64: »The countries … the Northeners in their isles were disturbed, taken
away in the fray- at one time …«
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Abb. 9: Die Ägypter, unterstützt durch die Pereset und die Seevölker, greifen die Liby-
er an. Man beachte die Kopfbedeckung und die kleinen Schilde der Seevölker.
(Ausschnitt)
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Quid pro quo?
Das Studium der Reliefs von Ramses III. enthüllt, daß unter den strei-
tenden Parteien, die an diesen Kriegen beteiligt waren, komplizierte
Bündnisverhältnisse bestanden. Während des Zeitraums, den Ramses
III. in seinen Inschriften und Reliefs schildert, nahmen die Beziehun-
gen zwischen den Ägyptern, den Pereset und den Seevölkern ver-
schiedenartige Formen an, wobei die Seevölker die Bündnispartner
wechselten; aber auch die Pereset wechselten ihre Fronten, denn zeit-
weilig unterstützten sie Ramses, zu anderen Zeiten waren sie seine
Feinde.
Es war recht seltsam um die Beziehungen dieser Völker bestellt: der
Ägypter, der Pereset und der Seevölker. Als der Pharao zu Beginn sei-
ner Regierungszeit einen Krieg gegen die in sein Reich eindringenden
Libyer führte, halfen ihm dabei die Seevölker mit ihren Horn-Helmen
und die Pereset mit ihren Tiaren, und man kann sehen, wie sie die Li-
byer töteten (Abb. 9). Bei ihrem ersten Auftauchen treten sie also nicht
als Feinde, sondern als Bündnispartner Ägyptens in Erscheinung.
Später, im zweiten Akt, waren die Pereset die Hauptgegner der
Ägypter; im Krieg gegen die Pereset unterstützten die Seevölker den
Pharao und schlugen sich heldenhaft; Abb. 10 zeigt, wie einige in klei-
nen Gruppen gegen eine ganze Schar von Feinden ankämpfen. Auf
den Reliefs sieht man auch, wie sie bei der Siegesparade gleichzeitig
mit den Streitkräften des Pharao auftreten; ihre Kleidung und ihre Rü-
stung – Helme, Schilde, Speere und Schwerter – sind sorgfältig in den
Szenen wiedergegeben, in denen sie nach dem Klang einer ägyptischen
Trompete marschieren oder sich in militärischer
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