Die Seevölker
unterziehen. Wenn wir bei unserem Versuch, den wirk-
lichen Verlauf der Geschichte zu rekonstruieren, nicht vom rechten
Weg abgekommen sind, dann müssen diese beiden Annalen die Ge-
schichte ein- und desselben Krieges wiedergeben.
»Die Inseln waren voller Unruhe«
Nach dem Tod von Dareios II. (Nothus) bestieg sein Sohn Arsaces un-
ter dem Namen Artaxerxes II. den Thron. Wegen seines exzellenten
Gedächtnisses erhielt er den Beinamen Mnemon; er regierte von –404
bis –358, einer Periode bedeutender geschichtlicher Ereignisse. Kurz
nach der Thronbesteigung zettelte sein als Satrap von Anatolien wir-
kender Bruder Kyros der Jüngere einen Aufstand gegen den König an.
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An seinem berühmt gewordenen Marsch gegen Artaxerxes nahm eine
griechische Söldnerarmee in Stärke von 10000 bis 12000 Mann teil; ei-
ner ihrer Führer, der Athener Xenophon, hat diesen Marsch und den
darauf folgenden Rückzug in seiner Anabasis (Der Weg zurück) be-
schrieben. Kyros d. J. kam bis Babylon und fiel dort im Kampf (-401),
die griechische Söldnertruppe zog sich zurück und erreichte nach vie-
len Bedrängnissen das Schwarze Meer.
Während der folgenden Jahre kam es in den persischen Satrapien in
Kleinasien zu Unruhen durch Rebellionen von Satrapen und durch die
Versuche Spartas, die Ionier an der kleinasiatischen Küste vom Perser-
joch zu befreien. Diese Bemühungen nahmen einen sehr aggressiven
Verlauf, als der spartanische König Agesilaos in den Jahren –396/95 in
mehreren Gefechten im Westen und im Zentrum Kleinasiens siegreich
blieb.1
Die Heldentaten von Agesilaos waren bereits ein Vorspiel zu denje-
nigen von Alexander. In seiner Kurzbiographie über Agesilaos schrieb
Cornelius Nepos:
»Agesilaos … hatte bereits viele Städte erobert und große Beute ge-
macht … Aber während er erwog, nach Persien aufzubrechen und ge-
gen den Großkönig zu marschieren, kam ein Bote von den Ephoren aus
Sparta, Athener und Boioten hätten den Krieg erklärt; er möge daher
sofort nach Hause zurückkehren … Obwohl er an der Spitze eines sieg-
reichen Heeres dabei war, sich das Perserreich zu unterwerfen, blieb er,
obwohl in weiter Ferne, den Befehlen seiner Staatsbehörden gehorsam
… Agesilaos also zog der Herrschaft über ein blühendes Königreich sei-
nen Ruf als guter Bürger vor und hielt es für ruhmvoller, den Gesetzen
seines Vaterlandes zu gehorchen als ganz Asien zu überwinden.«2
Der acht Jahre dauernde Korinthische Krieg begann. Der persische
1 Er kam wiederholt in militärischen, aber auch in diplomatischen Kontakt zum persi-
schen Erbsatrapen Phamabazos, dessen Provinz in Persien als »Tjaij Drajahja«, d. h.
»Die [bzw. Die Völker] von der See« = Die Seevölker, bekannt war. Von diesem Mann
ist hier deswegen die Rede, weil wir ihm eine Reihe von Jahren später erneut begegnen
werden; wir werden uns dann auch daran erinnern, unter welchem Namen seine Sa-
trapie in Kleinasien bekannt war.
2 Cornelius Nepos: Agesilaus (3,4), übersetzt von J. A. Wirth (München). Die Ephoren waren die fünf jährlich gewählten höchsten Beamten Spartas, die auch den König kon-trollierten.
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König unterstützte die Athener, ja, er hatte beim Ausbruch der Feind-
seligkeiten eine wesentliche Rolle gespielt; es handelte sich um eine
Kriegslist, Agesilaos zur Rückkehr nach Griechenland zu zwingen und
die griechischen Staaten untereinander in längere Zeit andauernde
Feindseligkeiten zu verwickeln. Im Jahr –394 gewannen die Spartaner
die Schlachten bei Nemea und Koronea, aber im gleichen Jahr wurde
ihre Flotte von der persischen Flotte unter dem athenischen Admiral
Konon bei Knidos entscheidend geschlagen, und sie konnte danach
ihre beherrschende Rolle zur See niemals wieder zurückgewinnen. Die
Ionier an der anatolischen Küste revoltierten und erklärten ihre Unab-
hängigkeit von Sparta. Athen gewann die Inseln Delos, Skyros, Imbros
und Lemnos zurück und verbündete sich mit den Inseln Chios, Mity-
lene, Rhodos, Kos und Knidos.
Viele berühmte Ereignisse fanden während des Korinthischen
Krieges (–395 bis –387) statt, und viele Inseln nahmen an ihm teil. Eua-
goras, der König von Salamis auf Zypern, kam den Athenern zu Hilfe
und erwies sich dadurch dem persischen König als nützlich. Aber we-
nige Jahre später rebellierte Euagoras gegen Artaxerxes (–390),
nachdem er sich dazu vom Großkönig selbst hatte provozieren lassen,
der ihm seinen Mut und seinen
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