Die Seevölker
erhalten, und
die Geschichte seiner Regierung ist uns nur aus den späteren griechi-
schen und römischen Autoren bekannt – dies weil die hieroglyphi-
schen Aufzeichnungen unter dem Namen Ramses IV. laufen; wie
schon erwähnt, halten viele Gelehrte Ramses IV. für den eigentlichen
Autor des Großen Papyrus Harris, obschon dieser Papyrus so abgefaßt
ist, daß Ramses III. als sein Urheber erscheint.
Auf einer Mauer des Totentempels von Ramses III. in Medinet Ha-
bu steht im Zusammenhang mit dem libyschen Krieg folgende In-
schrift: »Seine Majestät hatte einen Kleinen aus dem Lande der Temeh
gebracht, einen Kleinen, der von seinen starken Streitkräften unter-
stützt wurde, der für sie als Heerführer in Aktion trat, um das Land in
Ordnung zu bringen.«
»Ein Kleiner« wurde als Hinweis auf ein Kind gemutmaßt; ein Kind,
das vom Pharao mitgebracht wird, um ihn zu unterstützen, ergibt je-
doch wenig Sinn, und diese Passage wird als eine »schwierige Textstel-
le« angesehen.4
Der Begriff »Heerführer« bedeutet im Ägyptischen soviel wie »Kö-
nig«; daher nahm man an, der Pharao, der an dem Geschehen im
3 Plutarch: Lebensbeschreibungen, Agesilaus, übersetzt von Kaltwasseri-Floerke.
4 J. A. Wilson: »The Libyans and the End of the Egyptian Empire«, in: American Journal of Semitic Language, Januar 1935.
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Nachbarstaat Libyen interessiert war, habe ein Bündnis mit dem König
dieses Landes geschlossen, der damals noch ein Kind war. Aber im
Text ist nicht davon die Rede, daß der Pharao jemanden unterstützt,
sondern davon, daß er selbst Unterstützung erhielt. Ein »Kleiner« für
ein Kind, das nach Ägypten kommt und sich der Unterstützung seiner
Truppen erfreut, steht als kuriose Vermutung in einigen Abhandlun-
gen über dieses Thema.
Die äußere Erscheinung des Agesilaos, wie sie von seinen Biogra-
phen geschildert wird, und vor allem der Eindruck, den seine kleine
Statur bei seiner Ankunft in Ägypten hinterließ, lassen den Text an der
Tempelwand in Medinet Habu nicht nur verständlich erscheinen, son-
dern sogar als sehr angemessen.5
Der Name des Landes oder des Volkes, Temeh, aus dem auf die
Einladung des Pharaos hin »ein Kleiner« kam, der »von seinen starken
Streitkräften unterstützt wurde«, ist natürlich ein entscheidender Fak-
tor, ob ich zu Recht oder Unrecht Agesilaos mit der erwähnten Person
identifiziere.
Die Ägypter nannten die Bevölkerung des benachbarten Libyens
Tehenu. Die Tehenu wurden mit dunkler Hautfarbe und mit gekräu-
seltem Haar dargestellt. Seit der Ersten Dynastie in Ägypten waren sie
den Ägyptern unter diesem Namen bekannt. Aber eine Zeitlang findet
5 Wenn sich der Text auf Ramses III. (Nektanebos I.) und seine Aktivitäten bezieht,
und nicht auf seinen Sohn Ramses IV. (Teos), läßt sich unsere Hypothese, daß es sich
bei »dem Kleinen« um Agesilaos handle, nur dann aufrechterhalten, wenn dieser
Feldherr nicht nur während der Regierungszeit von Teos (Ramses IV.) nach Ägypten
kam, sondern auch etwa fünfzehn Jahre früher, zur Zeit seines Vaters. Diese These
könnte von folgender Tatsache gestützt werden: Es ist bekannt, daß der später be-
rühmt gewordene Astronom Eudoxos von Knidos im Alter von 23 Jahren bei Nekta-
nebos einen von Agesilaos geschriebenen Empfehlungsbrief vorlegte. Es sieht so aus,
als habe Agesilaos Nektanebos persönlich gekannt; es wurde berechnet, daß Eudoxos
Nektanebos im Jahre –367 oder –366 aufgesucht hat. (Siehe Giorgio di Santillana: »Eu-
doxus and Plato: A Study in Chronology«, in: Reflections on Man and Ideas [Cambridge, Mass., 1968], S. 228.) Das erlaubt uns, die Inschrift am Tempel von Medinet Habu in
die Regierungszeit von Ramses III. (Nektanebos I.) zu verlegen, und trotzdem »den
Kleinen« mit Agesilaos zu identifizieren. Wir wissen, daß auch der athenische Admiral
Chabrias zweimal nach Ägypten ging, um sich dort an der Durchführung militärischer
Aktionen zu beteiligen, zunächst zugunsten von Nektanebos und beim zweiten Mal
zugunsten von Teos.
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sich in Schilderungen und Abbildungen ein anderer Volksstamm oder
eine andere Rasse – namens Temeh –, die als Bewohner von Libyen
oder seines östlichen Teils, der Cyrenaika, angegeben werden. »Die
Temehu waren eine ganz andere Rasse, deren Hautfarbe hell war und
die blondes Haar und blaue Augen hatten. Die Heimat dieser Men-
schen kann nicht Afrika sein, und aller Wahrscheinlichkeit nach kamen
sie
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