Die Seevölker
haben: ein anderer Prinz, dem die Thronfolge nicht zustand,
usurpierte den Thron, verhaftete den Oberkommandierenden der Ar-
mee und bestimmte Palastbeamte und leitete gegen seinen Halbbruder
und dessen Hofkamarilla einen Prozeß ein, um nachzuweisen, daß der
Angeklagte sich gegen seinen Vater verschworen hatte. Es existiert ein
ausführliches Dokument über diesen Prozeß2; mehrere Anhänger des
Prinzen wurden zum Tod durch den Henker verurteilt, während ande-
re verstümmelt wurden. Der beschuldigte Prinz wurde indessen dazu
verurteilt, selbst den Giftbecher zu nehmen – ein im Griechenland des
vierten Jahrhunderts nicht unübliches Urteil: man denke nur an Sokra-
tes, der nach dem Prozeß der Athener gegen ihn dazu verurteilt wur-
de, eigenhändig den Giftbecher zu leeren (–399).
Der Prinz, der den Thron bestieg, ist uns unter dem Namen Ramses
IV. bekannt, aber wir identifizieren ihn als den Teos der griechischen
2 »The Judicial Papyrus of Turin«, Breasted: Ancient Records of Egypt, IV, Abschnitt 416-456.
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Autoren. Ramses IV. »behauptete von sich, er sei ein legitimer König
und kein Usurpator. Vielleicht«, so schrieb ein moderner Autor, »hat er
seine Beteuerungen allzu ›auffällig‹ vorgebracht.« Es wird behauptet,
daß von Teos keine Inschriften gefunden wurden, aber wenn Ramses
IV. mit Teos identisch ist, dann gibt es zahlreiche Inschriften, und das
Rätsel verschwindet.
Die Könige, die Ramses III. folgten, fügten immer ihren Thronna-
men und ihren Eponymen den Namen Ramses hinzu. Im Rom der Kai-
serzeit gab es einen ähnlichen Brauch: Die römischen Kaiser fügten
ihren eigenen Namen den Namen Caesar bzw. Augustus – mehr als
eine Art Titel – hinzu. Tatsächlich war es der vor Ramses III. regieren-
de Ramses II., dessen Name dem jeweiligen Namen des Throninhabers
oder der Prätendenten angehängt wurde.
Ramses IV. regierte sechs Jahre lang und wurde unter Umständen
abgesetzt, über die die hieroglyphischen Texte keine Aussage machen.
Von Ramses V. ist so gut wie nichts bekannt – es muß sich bei ihm um
einen jugendlichen Mitregenten seines Vaters Ramses IV. gehandelt
haben; er starb an den Pocken. Ramses VI. allerdings war ein Sohn des
verurteilten Prinzen und ein Enkel von Ramses III. Unmittelbar nach-
dem er sich des Thrones bemächtigt hatte, rächte er seinen Vater, in-
dem er an allen Monumenten den Namen Ramses' IV. entfernen ließ
und durch seinen eigenen ersetzte; er ergriff auch Besitz vom un-
vollendeten Grab Ramses' V., und da er sich auf diese Weise einen
Thron für das diesseitige und ein Grabmal für das jenseitige Leben
gesichert hatte, entfaltete er danach eine rege Bautätigkeit in verschie-
denen Teilen des Landes. Wir werden in ihm Nektanebos II. der grie-
chischen Autoren erkennen. Wie wir bald lesen werden, rebellierte er
gegen seinen Onkel, und es gelang ihm, den Thron zu besteigen.
Ramses VII. und Ramses VIII. waren lediglich Prätendenten, die
außer ihrem Anspruch auf den Thron keine Spuren in der Geschichte
hinterließen. Es gab auch Ramses IX., Ramses X. und Ramses XL, aber
mit ihnen und ihren wirklichen Positionen in der Nachfolge der Ra-
messiden werden wir uns zu einem späteren Zeitpunkt befassen. Es
besteht allerdings allgemein Übereinstimmung darin, daß zwischen
den Herrschern von Ramses III. bis zu Ramses VIII. einerseits und den-
jenigen, die unter den Namen Ramses IX. bis Ramses XI. regierten,
keine Verbindung besteht, und daß es daher keinen Beweis dafür gibt,
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daß sie tatsächlich die unmittelbaren Nachfolger von Ramses III. bis
Ramses VIII. gewesen sind.
Mit Hilfe dieser dürftigen, über die Ramessiden bekannten, Fakten
haben wir uns daran gemacht, die Nachfolger von Ramses III./Nekta-
nebos I. zu identifizieren.
Die sechzig Jahre ägyptischer Unabhängigkeit von dem Zeitpunkt
an, als Nepherites Ägypten befreite, sahen etwa neun oder zehn Köni-
ge, einige kaum für ein paar Wochen, andere nur als Thronprätenden-
ten.
›Der Kleine‹ unterstützt den Pharao
Nach dem Tod von Artaxerxes II. (–359) wurde sein Sohn Ochus unter
dem Namen Artaxerxes III. zum König ausgerufen. Um seinen Thron
vor Übergriffen seiner zahlreichen Brüder und Halbbrüder zu sichern,
ließ er sie allesamt – achtzig an der Zahl – umbringen.
Als seine Hauptaufgabe betrachtete Artaxerxes III. die Wiederer-
oberung Ägyptens, das unter seinem Vater verlorengegangen war, und
bereits zu
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