Die Seevölker
hat.
Einer tiefverwurzelten Tradition hinsichtlich der Art und Weise,
wie die Göttin Isis darzustellen sei, folgte hier der Künstler Ramses III.
nicht, und er ging bei der Darstellung völlig neue Wege. Vergleichbar
ist das etwa der Wirkung, die man heutzutage erzielen könnte, wenn
ein moderner Künstler die Madonna in einem zeitgenössischen All-
tagsgewand darstellen würde.
Um so weit von der Tradition abzuweichen, muß ein geradezu un-
widerstehlicher iranischer Einfluß auf den ägyptischen Künstler ein-
gewirkt haben, oder aber – und das erscheint durchaus möglich –, das
Bild stammt von einem persischen Künstler im Dienste Ramses' III.
Wir wissen, daß in persischer Zeit ein Austausch von Künstlern zwi-
schen Persien und Ägypten stattgefunden hat.1 Ist die persische Kopf-
bedeckung auf einer Isisfigur nicht ein Anzeichen für einen nicht nur
zufälligen, sondern tiefgreifenden Einfluß persischer Kunst auf die
Konzeption der religiösen Kunst Ägyptens im vierten Jahrhundert, die
zu Unrecht um acht Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückverlegt
wird?
1 Hinweise dafür finden sich in der Korrespondenz des Satrapen Arsames.
119
120
Kapitel V
Von Ramses III. zu Dareios III.
Die späteren Ramessiden
Auf den vorangegangenen Seiten haben wir das historische Material
aus griechischen und ägyptischen Quellen einander gegenübergestellt,
und wir sind dabei zu dem Schluß gekommen, daß der Nektanebos I.
der griechischen Autoren ein alter ego von Ramses III. der modernen
Autoren ist oder für User-maatre meriamun Ramesse-hekaon der
ägyptischen Königsmonumente und der offiziellen Papyrusdokumen-
te. Zu seiner eigenen Zeit und vor allem unter den Griechen war er als
Nektanebos bekannt, unter jenem Namen, den er gelegentlich bei we-
niger offiziellen Anlässen benutzte. Ob dies der Fall gewesen ist, oder
ob Ramses III. – wie das auch bei anderen Pharaonen vorkam – mehr
als nur eine Serie königlicher Namen hatte oder verschiedene Namen
als König für Oberägypten und Unterägypten: Nektanebos war der
Name, unter dem die griechischen Autoren diesen Monarchen kann-
ten. Nach dieser Identifizierung sollten wir erwarten, daß sich einige
der, zugegebenermaßen, schwierigen Probleme in der Geschichte der
späten Ramessiden entwirren lassen. »Wenn es zutrifft, daß ein Volk
ohne Geschichte glücklich ist, dann müßte Ägypten unter den schwä-
cheren der Nachfolger von Ramses III. für glücklicher angesehen wer-
den, als es das jemals unter den berühmtesten Pharaonen gewesen
ist.«1 Die gesamte Periode, während derer diese Nachfolger den Thron
innehatten, soll nur zwei Generationen gedauert haben (etwa –1170 bis
–1100), obwohl auf Ramses III. noch acht weitere Könige des gleichen
Namens folgten – numeriert von IV. bis XI. Dann soll diese Dynastie
unter unbekannten Umständen erloschen sein.
Unsere Identifizierung von Ramses III. als Nektanebos I. der grie-
chischen Autoren muß als schlüssig angesehen werden; dagegen muß
unser Versuch, die Identität der weiteren Ramessiden zu rekonstruie-
1 G. Maspero: The Struggle of the Nations, S. 483.
121
ren, hypothetisch bleiben, weil nur dürftiges Informationsmaterial
über diese Personen vorliegt.
Wir werden – auch wenn er mißlingen sollte – den Versuch unter-
nehmen, etwas Licht in die Geschichte der königlichen Thronfolgen zu
bringen, wobei uns zur Hilfe kommt, was wir über die Nachfolger von
Nektanebos I., aber auch über einige seiner Vorgänger wissen; ande-
rerseits lassen sich gewisse ungeklärte Details in der griechischen Ver-
sion von der ägyptischen Geschichte klären, wenn ein Teil des Materi-
als über die Ramessiden integriert wird.
Es ist beispielsweise nicht bekannt, unter welchen Umständen Teos
der Nachfolger von Nektanebos I. wurde, und worauf ein Neffe von
Teos seine Thronansprüche stützte, gegen Teos revoltierte und den
Thron einnahm: Er ist unter dem Namen Nektanebos II. bekannt.
Könnten uns die Monumente einen Hinweis darauf geben, woraus
Nektanebos II. seine Thronansprüche abgeleitet hat?
Noch zu Lebzeiten Ramses' III. brauten sich bereits Intrigen unter
seinen Frauen, den Haremsfunktionären und den Offizieren der könig-
lichen Garde zusammen. Nach dem Tod des Pharaos wurden ein Prinz
– vermutlich der rechtmäßige Thronerbe –, seine Mutter, sowie mehre-
re andere Personen angeklagt, gegen den verstorbenen Pharao intri-
giert zu
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