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Die Seevölker

Die Seevölker

Titel: Die Seevölker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Immanuel Velikovsky
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Briefschreiber dann zur Sache und
    beginnt unmittelbar mit seinen Klagen:

    »Ich wurde zu Unrecht vertrieben, ich wurde aller Dinge beraubt, ich finde
    keine Worte [um zu protestieren], ich bin beraubt, obwohl ich nichts Fal-
    sches tat; ich werde aus meiner Heimatstadt vertrieben, der Besitz ist be-
    schlagnahmt, und nichts bleibt [mir]. Ich bin [hilflos] vor den mächtigen
    Verbrechern…«

    Ourmai ist nur eines von vielen Opfern. Im folgenden Satz spricht
    er offenbar von seinen Amtsgenossen oder seinen loyalen Untergebe-
    nen:

    »Sie werden von mir fortgerissen; ihre Frauen werden [vor ihren Augen]

    named for A. S. Pushkin, (Moskau 1961).
    2 C. Aldred in: Journal of Egyptian Archaeology, XLIII (1957), S. 30-41. Siehe auch mein Werk Ödipus und Echnaton, S. 92-94.

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    umgebracht; ihre Kinder sind zerstreut, einige ins Gefängnis geworfen,
    andere als Beutegut fortgeschleppt.
    Ich werde aus meiner gestrigen Unterkunft vertrieben, bin zu grausamem
    Umherirren gezwungen, unter harten Bedingungen von Ort zu Ort zu
    wandern. Das Land ist umgeben von der Flamme des Feindes, der Nord
    und Süd, Ost und West ergriffen hat.«

    Die »Schiffe zogen sich zurück« aus dem vom Feind eroberten
    Land, und letzterer »durchquert am Fluß entlang das Land«.
    Ourmai zählt dann die Orte auf, durch die er während seines Um-
    herirrens kam – zu Fuß, denn »genommen sind die Pferde, wegge-
    nommen die Wagen und die Rüstung«; »Ich bin gezwungen, einen
    ganzen Tag lang von meiner Stadt fortzumarschieren, aber sie ist mir
    fremd geworden.«
    Mit dieser Stadt ist Heliopolis gemeint, wo er – als Verwandter des
    Königshauses – ein wichtiger Priester gewesen war. Aber offensichtlich
    gibt es nunmehr kein Königshaus mehr in Ägypten – der Feind hat die
    Macht im Lande an sich gerissen, und er hat den prominenten Bürgern
    ihren Besitz weggenommen. Möglicherweise war die Lage in dem et-
    wa 130 Kilometer weiter südlich gelegenen Herakleopolis, dem Wohn-
    sitz des Adressaten dieses Briefes, noch nicht so schlecht wie in dem im
    Scheitelpunkt des Nildeltas, ein wenig nordöstlich vom heutigen Kairo
    gelegenen Heliopolis.
    Es wurden nicht nur die Leute enteignet, ihre Kinder entführt und
    ihre Frauen gemordet, sondern der Feind verging sich auch frevelhaft
    an den Göttern und an den Toten:

    »Körper [der Toten] und Knochen [sind] hinaus auf den Boden geworfen,
    und wer soll sie bedecken? …«

    Hier folgen viele nicht zu entziffernde Zeilen im Papyrus, aber da-
    nach heißt es:

    »Ihre Altäre verschwanden, und [ebenso] Opfergaben, Salz, Natron, Pflan-
    zen.«

    Der enteignete Priester klagt: »Ich litt unter Hunger.« Er erwähnt
    auch, »mein Getreide, das mir von Soldaten gegeben wurde«, und es
    hat ganz den Anschein, als habe sich Ourmai dieses Getreide von den
    Besatzungssoldaten erbetteln müssen.

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    Das Land wurde vom Feind hart besteuert (»seine Steuern sind
    schwer«), und es wurde »eine große Sünde gegenüber Gott« begangen.
    Er betet:

    »Deine Macht, o Herr und Schöpfer möge sich offenbaren. Komm und er-
    rette mich vor ihnen!«

    Um wen konnte es sich bei diesen Invasoren zu Beginn der 21. Dy-
    nastie handeln? In der konventionellen Geschichtsschreibung sind kei-
    ne Eindringlinge bekannt, die Ägypten besetzt hielten, als die 21. Dy-
    nastie auf den Thron kam, also zu Beginn des 11. Jahrhunderts. Es
    wird dort angenommen, daß beim Erlöschen der 20. Dynastie die 21.
    Dynastie auf friedlichem Wege die Zügel des Staates übernommen hat.
    Daher löste der Ourmai-Brief sofort bei seiner Veröffentlichung großes
    Erstaunen aus; es wurde nach einer Erklärung für Ourmais seltsame
    Leidensgeschichte gesucht, aber vergeblich.3
    Wir setzen jedoch im vorliegenden Werk der Rekonstruktion die 21.
    Dynastie nicht in das 11. und 10. Jahrhundert, sondern in die persische
    Periode der ägyptischen Geschichte; daher sind wir gezwungen zu
    erwarten, daß derartige Klagen aus der Anfangszeit der 21. Dynastie
    erhalten geblieben sind. Ourmai beschreibt ein soeben erobertes Ober-
    ägypten; der Verfasser des Briefes führt Titel, die bezeugen, daß noch
    in jüngster Zeit die Monarchie in Ägypten bestanden hat, und daß ihre
    Herrschaft durch den als Eroberer eindringenden Feind beendet wur-
    de.
    Eine der historischen Hauptquellen für die Geschichte der Erobe-
    rung Ägyptens durch Kambyses, den Sohn des Kyros, ist – wie bereits
    erwähnt – Herodot. Er hat Ägypten nur wenige Generationen

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