Die Seherin der Kelten
wieder zurück wärst, ob du mac Calma bis dahin nun gefunden hättest oder nicht. Ich denke, dass sie mir helfen wird, während du weg bist, und dass sie dafür auch keinen Ärger zu erwarten hat. Efnís weiß bereits, dass sie hierher kommt.«
»Das dachte ich mir schon.« Valerius hatte seinen Spaziergang dazu verwendet, einmal darüber nachzudenken, wieso das Mädchen stets zum passenden Augenblick aufzutauchen pflegte. »Ich möchte wetten, dass mac Calma den beiden vor seiner Abreise genau eingeschärft hat, wie sie sich uns gegenüber verhalten sollten. Nur sehr wenig von alledem, was er tut, scheint auf bloßem Zufall zu beruhen.«
»Dann hatte ich also Recht? Du wirst bei Tagesanbruch aufbrechen?«
»Das werde ich, außer ich schaffe es, mac Calma heute Nacht bereits im Traum zu rufen. Einen Versuch ist es jedenfalls noch wert. Man kann nie wissen; der Hase ist das Tier Nemains, und Airmid stand stets in enger Verbindung zu Nemain. Vielleicht schaffe ich es ja jetzt, da ich in einem dieser Göttin geweihten Haus das ihr geweihte Tier gegessen habe, die Träume auf jenen Wegen zu beschreiten, wie mein Geburtsrecht es mir noch immer erlaubt.«
Bellos starrte ihn an. Zum ersten Mal seit seinem Sturz fokussierten seine Augen fast genau die Stelle, wo Valerius saß. »Wäre dir das denn jetzt von Bedeutung?«, fragte er.
»Nur als eine Art Werkzeug. Ich bin es leid, das Spielzeug eines anderen Mannes zu sein. Wenn ich dich aus eigener Kraft heilen könnte, würde ich das tun, das weißt du. Aber weil ich es nun einmal nicht kann, muss ich mac Calma zu Hilfe rufen. Wenn ich nun jedoch sogar die Götter selbst anrufen könnte, und das auch noch ganz ohne fremde Hilfe, und wenn ich die dann um ihre Mithilfe bei deiner Genesung bitten könnte, wäre ich endlich wahrlich unabhängig von allen anderen Menschen.«
Bellos stellte seine Schüssel ab und streckte sich wie ein Hund neben dem Feuer aus. »Und wäre das gut, so ganz unabhängig zu sein von allen anderen Menschen?«
»Das wäre beinahe perfekt.«
Als Offizier der Kavallerie der Hilfstruppen hatte Julius Valerius schon etliche Nächte durchwacht und das in Situationen, die weit weniger angenehm waren, als mit gefülltem Magen in einer von Feuerschein erhellten Hütte am Ufer eines Flusses zu sitzen, umgeben von den aromatischen Gerüchen von Knoblauch, Holzrauch und Hasenfleisch, die seine Sinne wärmten.
Doch vielleicht genau deswegen war er dann auch nicht, wie ursprünglich geplant, wach geblieben und hatte in den Flammen den Beistand der Götter gesucht, sondern war eingeschlafen und hatte im Traum einige unzusammenhängende und ihm deutlich missfallende Bilder von seiner Mutter und mac Calma gesehen; Bilder davon, wie diese in dem Jahr vor Valerius’ Geburt als Liebende zusammen spazieren gegangen waren, miteinander schliefen und an den uralten, heiligen Stätten von Hibernia gelegen hatten.
Rom war damals noch nicht mehr als ein weit entfernter Feind gewesen und die gemeinsamen Konflikte noch unbedeutend, obgleich die Völker Britanniens selbst diese schon nicht mehr als geringfügig empfunden hatten. Und Valerius’ Mutter war noch jung gewesen und noch nicht so zornig. Sie hatte die Gegenwart des Jungen gespürt, der in ihrem Mutterleib heranwuchs, und sie hatte ihn sofort geliebt. Und eines Nachts, als sie allein unter dem weißen Vollmond gelegen hatte, beschloss sie, ihr Kind nach seiner Farbe zu benennen: Bán, was in der Sprache von Hibernia so viel wie »weiß« bedeutete. Anschließend hatte sie ihre Hände über sein kleines, pochendes Herz und das ihre gelegt und gesprochen: »Du wirst ein Kind Nemains, und unter ihrem Schutz sollst du aufwachsen. Dafür werde ich sorgen.«
Später dann war Luain mac Calma zu ihr gestoßen und hatte Neuigkeiten mitgebracht: von den sich in Gallien zusammenbrauenden Konflikten und von dem Tod jener ersten Träumer, die durch die Hand Roms hatten sterben müssen. Schon immer hatte Macha gewusst, dass er sie eines Tages wieder würde verlassen müssen, und Valerius, der einst Bán gewesen war, spürte selbst im Mutterleib, selbst in seinem Traum noch die Qual, die diese Trennung Macha und mac Calma bereitete, spürte die Leere der nie gegebenen Versprechen, weil sie ja ohnehin hohl gewesen wären.
Der Verlust schmerzte zu stark, als dass Valerius ihn noch länger hätte ertragen können. In seinem Traum riss er sich von seiner Mutter los und beobachtete dann aus der Ferne, wie diese eine recht
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