Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
vielen verschiedenen Arten zu kennen, wie man ein Leben beenden konnte. Umwoben von einer kalten, unnatürlichen Klarheit begann Breaca bereits zu planen, wie sie ihre Tochter so schnell und schmerzlos wie möglich töten könnte.
    An Breacas rechter Seite stand Cunomar. Er spürte die Veränderung, die in seiner Mutter vorging, doch er war zu alt, um sich noch an ihre Hand zu klammern. Er lehnte sich leicht gegen sie, und seine Schulter streifte die ihre. Valerius Corvus, jener Mann von größter Integrität, der ihrer aller Leben in der Hand hatte, beobachtete all dies mit einem Lächeln. Auch Cunomar sollte sterben, ehe die Römer ihn ergreifen konnten, so entschied Breaca; er hatte schon einmal unter seinem eigenen Kreuz gestanden und sollte dies nicht noch einmal ertragen müssen. Ihn zu töten würde sich zwar schwieriger gestalten, war aber dennoch nicht unmöglich.
    Im Geiste begann Breaca bereits das Sterbelied von Mona anzustimmen, mit dem sie sowohl Briga das Geschenk eines Menschenlebens übergab, das aber zugleich auch als Bitte um einen raschen und leichten Tod zu verstehen war. Anstelle ihres eigenen Namens sprach sie die ihrer drei Kinder.
    Tagos trat vor, um am Tisch des Gouverneurs seine Verfügung zu unterzeichnen. Von den acht anwesenden Königen war er der letzte, dessen Unterschrift hiermit beglaubigt wurde. Das Ende der ermüdenden, mechanisch auswendig gelernten Reden und des gestelzten Lateins schien nahe, und sämtliche Männer und Frauen, die gesamte Reihe hindurch, begannen leise mit den Füßen zu scharren. Ähnlich wie in manchen Augenblicken vor einer Schlacht, hatte Breaca auch in diesem Moment das Gefühl, als ob ihre Haut mit einem Mal feiner würde, bis die Luft, die sie umgab, nurmehr als ein Strom flüssiger, lebendiger Geräusche erschien, die langsam in ihr Blut sickerten. Das von Staubwirbeln durchzogene Licht im Forum verwandelte sich zu einem Muster aus menschlichem Atem und schimmernden Waffen.
    Breaca aber trug keine Waffen bei sich. Und dieser Umstand lastete schwerer auf ihr als in den ganzen sechs Monaten zuvor, seit sie ihre Klinge in der Obhut der Toten zurückgelassen hatte. An ihrer Seite, dort, wo ihr Schwert hätte hängen sollen, drang die Kälte in sie ein wie in ein Haus, in dem ein Kind im Winter die Tür hat offen stehen lassen. Die Erinnerung an den Grabhügel der Ahnen ließ das bereits nur noch schwache Licht im Forum noch schwächer werden, bis allein von den Reiherspeeren mit den silbernen Spitzen, die Breacas Geschenk an den Gouverneur gewesen waren, noch ein Lichtschimmer auszugehen schien. Die Speere verzehrten sich nach Blut, und es könnte ebenso gut das in einem Akt der Gnade vergossene Blut eines Kindes sein wie auch das eines Feindes, der im Kampf getötet wurde. Obgleich beides nicht jener Verwendungszweck wäre, für den die Silberspeere ursprünglich angefertigt worden waren. Breaca schätzte die Entfernung von ihrem Platz bis zu der auf dem Tisch liegenden Eibenholzkiste, und sie wusste, dass Corvus sie unterdessen genau beobachtete.
    Ihr Blick begegnete dem seinen: In einer Schlacht wusste sie stets, welcher der gefährlichste der Feinde war. Er lächelte leicht, neigte den Kopf und hob in einer Geste, die sowohl seine Ehrbezeugung gegenüber einem Krieger ausdrückte als auch eine Entschuldigung andeutete, kurz die eine Schulter. Breaca erwiderte sein Nicken, und gleich einem Blutsband schien die Luft zwischen ihnen sie miteinander zu verbinden. Er war ein Mann von hoher Integrität. Breaca glaubte nicht, dass er es für notwendig halten würde, Kinder zu kreuzigen oder gar eine Kriegerin von Cygfas Schönheit.
    Am Tisch erteilte der Sekretär unterdessen eine Anweisung. Der Menge wurde die Unterschrift des Gouverneurs gezeigt. Tagos’ Testament, das bereits auf zwei Schriftrollen übertragen worden war, wurde nicht laut verlesen. Der Inhalt einer königlichen Verfügung wurde von Rechts wegen als private Angelegenheit betrachtet, die nicht dafür bestimmt war, von den anderen Königen diskutiert zu werden, die doch allesamt lediglich Konkurrenten in dem ständigen Wettstreit um das Wohlwollen des Gouverneurs waren.
    Den gesamten Saal durchlief ein zitternder Seufzer, das Aufatmen einer weit über die Grenzen ihrer Geduld hinaus strapazierten Diplomatie. Von außen betrachtet war alles ganz und gar vollkommen. Keines der Kinder hatte sich ungebührlich benommen. Und von all den Anwesenden hatte lediglich die junge und hochschwangere Ehefrau

Weitere Kostenlose Bücher