Die Seherin der Kelten
Ehre.«
»Danke.« Breaca antwortete gleichermaßen auf Latein, wechselte dann aber wieder zu Eceni über. »Ich werde zwar nie sein, was mein Vater war, aber vielleicht kann ich die Techniken und Fertigkeiten, die ich von ihm gelernt habe, ja an meine Kinder weitervermitteln. Hast du noch die Klinge, die er damals für dich geschmiedet hatte?«
»Ja, ich habe sie noch immer. Ich bewahre sie sorgsam auf, als Erinnerung an bessere Zeiten.« Corvus sah müde aus. Das Alter hatte seine Gesichtshaut dünner werden lassen und weitere Narben hinzugefügt, doch der Kern seines Wesens war noch der, der er immer gewesen war. Er senkte den Blick und legte die Hand auf Graines Schopf. »Ist das deine Tochter?«
»Ja.«
»Sie ist außergewöhnlich. Du und ihr Vater, ihr müsst sehr stolz sein.«
Das waren genau die Worte, die auch der Gouverneur verwendet hatte, mehr oder weniger zumindest, gesprochen allerdings mit einem Wissen und einer Erfahrung, die Quintus Veranius nicht zu Eigen gewesen waren: Corvus wusste, wer Graines Vater war, wohingegen der Gouverneur darüber keinerlei Anhaltspunkte besaß.
Der römische Offizier ging in die Hocke, nahm die Brosche in Form einer Speerspitze aus Breacas Hand und steckte damit den Umhang ihrer Tochter zusammen. Zufrieden, dass die Nadel wieder fest an ihrem Platz saß, lächelte er, wie wohl jeder Erwachsene ein Kind anlächelt.
Doch Graine war nicht irgendein Kind; er hatte sie die ganze Zeremonie über beobachtet und hätte es folglich besser wissen sollen. Ehe Corvus wieder wegschauen konnte, hatte sich der kühle, meergraue Blick aus Träumeraugen bereits in den seinen gesenkt. Graine runzelte leicht die Stirn und ähnelte damit plötzlich auf geradezu schmerzlich anzuschauende Weise Airmid.
Als ihre Brauen sich wieder entspannten, verkündete sie mit Nachdruck: »Valerius Corvus, du warst ein guter Freund des Bruders meiner Mutter, jenem Verräter, den sie einst liebte. Und darum möchte ich dir gern meine Stute zum Geschenk machen. Sie ist die schnellste, die wir je gezüchtet haben. Ihr werdet gut miteinander auskommen.« Graine sprach in der formellen Sprache des Ältestenrats von Mona, die sie von klein auf von Airmid gelernt hatte. Die Worte, die sie gebrauchte, waren die Worte, mit denen ein Krieger seinem Kampfgefährten ein Geschenk überreichte, oder eine Schwester ihrem Bruder.
Corvus blieb ganz still stehen. An seinem einen Auge begann ein kleiner Muskel zu zucken. Nach einer Weile hob er den Blick zu Breaca hinauf: »Ist das wahr?«
»Das solltest du besser wissen als ich. Solange du bei uns lebtest, warst du ein Freund von Bán; ich gehe davon aus, dass du das auch später noch warst, als er für Rom kämpfte. Und was das Pferd betrifft«, Breaca zuckte mit den Schultern, »sie ist in der Tat die beste Stute, die ich bis jetzt gezüchtet habe. Ich hatte sie Graine zur Jahreswende geschenkt, damit sie damit ihre eigene Zucht würde beginnen können. Wenn sie nun aber beschließt, sie dir zu übergeben, so ist das ihr gutes Recht. Hast du denn schon ein gutes Schlachtross?«
Corvus verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Nicht mehr. Ich hatte einmal einen hervorragenden schwarzen Junghengst - den Sohn eines Hengstes namens Krähe und einer Stute aus der Zucht der Trinovanter. Auf ihm ritt man wie auf einem schwarzen Blitz, doch er wurde - direkt unter mir - von einer Frau vom Stamm der Silurer getötet, die mir daraufhin auch noch den Schädel brach. Als Ersatz für ihn habe ich nun ein junges Militärpferd; einen gutmütigen Wallach, doch ihm fehlt einfach das Feuer des schwarzen Junghengsts. In einer Schlacht, aus der ich lebend wieder herauskommen möchte, würde ich ihn bestimmt nicht reiten.«
Eine Hand voll seiner Gefolgsoffiziere schlenderte vorbei. Corvus’ Knie knackten, als er sich wieder erhob. Seine Miene drückte freundliches Interesse an dem Kind der Frau eines der Vasallenkönige aus. Auf Lateinisch sagte er: »Der Gouverneur wünscht, dass wir uns im neuen Theater einfinden. Habt Ihr es schon gesehen?«
Sie würden also nicht sterben. Corvus, ein Mann von höchster Integrität, war nicht der Ansicht, dass sein Pflichtgefühl dies von ihm verlangte.
Nur ganz langsam dämmerte Breaca diese Erkenntnis. Die Erleichterung, die sie daraufhin durchströmte, hinterließ in ihr geradezu eine Leere. Sie atmete die Kälte, den Gestank und den Lärm ein, die alle zusammen Camulodunum ausmachten. Beruhigend drängte Graine mit der Schulter gegen
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