Die Seherin der Kelten
von Cogidubnos, dem König der an der fernen Südküste lebenden Belger, darum gebeten, sich vorzeitig entfernen zu dürfen. Alle anderen hatten bis zum Schluss ausgehalten und nahmen sich nun einen Augenblick Zeit, um sich die Beine zu vertreten.
Durch einen Strom sich träge fortbewegender Körper wurden die Bodicea und Corvus voneinander getrennt, und ein Sklave drängte Breaca, einen Kelch mit Wein anzunehmen.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf und deutete auf Graine. »Meine Tochter muss sich erleichtern. Wenn du mich bitte entschuldigen würdest?«
Graine blickte auf. Ihre Augen waren wie die Augen der älteren Großmutter in den Tagen, ehe die alte Frau erblindet war. Doch vor den Fremden wollte sie nicht widersprechen. Sie lächelte also lediglich und schürzte leicht die Lippen.
Breaca drängte weiter in Richtung Tür, gefolgt von Cygfa. Denn diese hatte schon zu viele Schlachten an der Seite der Bodicea durchfochten, als dass sie nun nicht spürte, wie gerade eine neue Auseinandersetzung heraufzog; in ihren Augen lagen Fragen, die Breaca ihr im gegenwärtigen Moment jedoch nicht beantworten konnte, so dass Cygfa einfach an Breacas linke Seite glitt und zu einer Art menschlichem Schutzschild wurde. Um ihrer beider willen betete Breaca, wie sie noch niemals zuvor gebetet hatte, dass sie zumindest eine scharfkantige Waffe finden möge, ehe Corvus sie und die Kinder entdeckte.
Endlich erreichten, sie die Tür. Bewaffnet mit einer triftigen Entschuldigung, lächelte Breaca den Wachen zu. Als sie draußen die Stufen erreichten, schaute Breaca zurück und sah einen dunkelhaarigen Mann, der, an seinem Verband gut zu erkennen, auf den obersten Treppenabsatz hinaustrat und sich umblickte. Hastig suchte sie nach einer Fluchtmöglichkeit und nahm gleich den ersten Ausweg, der sich ihr bot: Sie wich seitwärts in eine Sackgasse aus, die zwischen dem Haus des Gouverneurs und dessen Nachbarn verlief und die bereits nach dem Urin zahlreicher Männer stank.
Graine spielte, sobald ihre Mutter sie losließ, die von ihr geforderte Rolle, hob ihre Tunika und hockte sich in den Schmutz, und es schien, als ob Breaca den Wachen gegenüber tatsächlich nicht gelogen hätte; ihre Tochter musste wirklich einmal austreten. Unaufgefordert postierten sich die beiden Krieger, die Graines Bruder und ihre Schwester waren, am Eingang der Sackgasse. Cunomar zierte eine nicht weit von Graine entfernte Steinmauer, Cygfa lehnte sich müßig in die entgegengesetzte Ecke.
So etwas wie Privatsphäre war hier undenkbar: Aus dem gleichen Bedürfnis heraus wie Graine gesellten sich auch andere zu ihnen; die Sackgasse war der erste erkennbare Schlupfwinkel nach den Treppen. Ein älterer, weißhaariger Krieger vom Stamme der Atrebater verschob sein Geschäft gerade so lange, um Breaca zuvor noch einmal durchdringend anzuschauen und dabei die Stirn zu runzeln. »Ich habe schon einige Geschichten über die Reiherspeere der Kaledonier gehört«, sagte er, »aber ich habe noch nie einen gesehen. Ist es wahr, dass sie verflucht sein sollen?«
Breaca schüttelte den Kopf. Der Winter in Prasutagos’ Gesellschaft hatte sie in der Gabe der Doppelzüngigkeit unterrichtet, wie Mona es in all den Jahren nicht vermocht hatte. »Nur, wenn du ein Bär bist und die Träumer für die Winterzeremonien deinen Pelz und deine Zähne wollen.«
»Ich verstehe.« Nachdenklich blickte der Atrebater sie an. »Vielleicht verwendet der Gouverneur sie dann ja tatsächlich einmal zur Bärenjagd. Die sollen im Westen ja noch aktiv sein, soweit ich verstanden habe. Da ist der Gouverneur sicherlich dankbar für jede Hilfe, die er bekommen kann. Ich muss unbedingt daran denken, ihm dazu zu gratulieren, falls die Gelegenheit sich ergeben sollte. Deine Tochter möchte dich sprechen.«
Graine hatte ihren Auftrag beendet, war wieder aufgestanden und ließ erneut ihre Hand in die ihrer Mutter gleiten. Immer wieder drückte sie Breacas Finger in einem Zeichen, das Airmid vielleicht verstanden hätte, Breaca jedoch nicht. Das ochsenblutrote Haar des Mädchens hatte den Staub der Sackgasse in sich aufgenommen. Ihre Mutter strich ihr einmal über das Haar, so dass ihre Hand wie selbstverständlich im Nacken ihrer Tochter zu liegen kam, und führte Graine wieder auf den Vorplatz hinaus und fort von dem neugierigen Blick jenes Mannes, der früher einmal Breacas Feind gewesen war. Berikos von den Atrebatern, der einst ganz Britannien an Rom verraten hatte, blieb hinter ihnen zurück, um
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