Die Seherin der Kelten
Füße zu schleudern geruht hatten. Und er brauchte in der Tat eine Klinge, denn der Ältestenrat hatte sich zusammengefunden, um über den Römer zu Gericht zu sitzen, und ihn schließlich dazu verurteilt, den langsamen, qualvollen Tod des Verräters zu sterben - sofern er nicht einen Krieger fand, dem er im Kampf Mann gegen Mann gegenübertreten durfte. Caradoc achtete den Römer und hatte ihm angeboten, gegen ihn anzutreten. Voller Mut und stillem Stolz war der Römer also an Breaca herangetreten, um sie um ihr Schwert zu bitten, damit er nicht unbewaffnet würde sterben müssen. Und weil Breaca nicht wollte, dass letztlich Airmid gezwungen sein würde, ihn zu töten, hatte sie ihm ihr Schwert gegeben.
Jener Tag war ein träger Tag gewesen und friedlich, und die Welt hatte sich noch nicht im Kriegszustand befunden. Er hatte braune Augen gehabt, genauso wie Bán, und er war von einer geradezu schmerzhaften Ehrlichkeit gewesen. Später, nachdem der Ältestenrat ihn freigesprochen hatte und er doch nicht hatte kämpfen müssen, war er Báns Freund geworden.
Und nun, da sie seinen geradezu brennenden Blick auf ihrem Gesicht spürte, erinnerte Breaca sich an eine Tatsache wieder besonders deutlich: Valerius Corvus war ein Mensch von unverbrüchlicher Integrität und ein geschätzter Freund ihres Bruders. Dennoch, sollte irgendein Mann der Legionen die wahre Identität von Breaca, Ehefrau des Prasutagos, kennen, so war Corvus dieser Mann.
Aber ganz gleich, wie groß seine Integrität und seine Freundschaft zu ihrem Bruder auch sein mochten, so würde sein Pflichtgefühl es ihm doch nicht erlauben, dieses Wissen vor seinem Gouverneur geheim zu halten, und das Resultat davon konnte nur eines sein. Graine mochte ja durchaus Recht damit gehabt haben, dass die Kreuze vor dem Theatergebäude nicht für sie errichtet worden waren, aber die Männer Roms waren schon immer sehr einfallsreich gewesen; sie konnten also leicht noch mehr errichten.
Die beste Methode, um sich zu verstecken, besteht darin, deutlich gesehen zu werden.
Allerdings galt das nur, wenn diejenigen, die nach einem suchten, nicht wussten, nach wem genau sie Ausschau halten sollten. Breaca hätte nicht gedacht, dass die Götter ein solches Spiel mit ihr treiben würden.
Die Welt wurde kleiner, und die Zeit verstrich plötzlich langsamer. Noch immer lag Graines Hand in der ihrer Mutter und wärmte sie ein wenig. Unerträglich weich schien sich die Haut des zarten Kindes an Breacas alte Schwielen zu schmiegen, die vom Umgang mit dem Schwert herrührten und sich durch die Schmiedearbeit im Frühling erneut verhornt hatten. Graines Haar war von einem tiefen Ochsenblutrot; es war gekämmt worden, um ihm den Glanz eines sorgsam gestriegelten Pferdefells zu verleihen, war dann, durch den Ritt den Hügel hinunter, aber wieder arg zerzaust worden, so dass es nun in glänzenden Strähnen auf Graines Schultern lag. Ihr Scheitel reichte kaum höher als Breacas Taille. Ihr Hals war schlank, gerade und unsagbar lang, die Haut von einem durchscheinenden Milchweiß und über den Adern ein wenig bläulich, wie Feuerstein, der gerade erst aus einem Fluss gefischt worden war. Ihr gesamter Körper wog nur wenig mehr als ein drei Monate altes Fohlen. Sich diesen zarten kleinen Kinderkörper auch nur leicht verletzt vorzustellen, war schon schmerzlich; ihn jedoch leibhaftig, gekrümmt und gebrochen von einem Henkersstrick herabbaumeln zu sehen, hätte ganz und gar unmöglich sein sollen und war es doch keineswegs. Mit den ersten Geschichten von den Erhängungen in den östlichen Siedlungen war auch die unausweichliche Erkenntnis gekommen, dass ein am Galgen hängendes kleines Kind, das erst wenig Gewicht besaß, keineswegs rasch starb, sondern mit Leichtigkeit seine Eltern überleben konnte, um erst lange, nachdem der Rest seiner Familie bereits zu den Göttern gegangen war, endlich auch selbst zu sterben. Am Kreuz könnte Graine sogar einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang überleben, ehe die Götter ihr die Ruhe des Todes bescheren würden.
Aber nicht, solange ich noch lebe, um dies zu verhindern. Diese Erkenntnis drängte sich plötzlich zwischen die anderen Gedanken in Breacas Kopf. In den frühen Tagen der Säuberungsaktionen der Römer hatten Mütter ihre eigenen Kinder in den Flüssen ertränkt, um sie so vor den Legionären zu bewahren. Zwar hatte die Bodicea keinen Fluss in der Nähe, doch sie war eine Kriegerin; und sie hatte schon oft genug getötet, um die
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