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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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abzulegen pflegten. Langsam und mit noch größerer Vorsicht als zuvor ließ er das Speerheft auf seinen flach ausgestreckten Handflächen ruhen und widmete sich einen Augenblick lang ganz der Begutachtung der Klinge, sorgsam darauf bedacht, den Glanz ihrer Oberfläche nicht mit seinen Fingern zu beschmutzen.
    Nach einer Weile hob er den Kopf und blickte Breaca direkt in die Augen. Nicht mehr länger in der formellen Sprache des Hofes fragte er: »Ich wusste nicht, dass die Eceni mit Klingen aus Silber jagen?«
    Seine Frage war ehrlich, und in ihr schwang noch mehr mit, als die Worte allein auszudrücken vermochten.
    Breaca erwiderte seinen Blick. »Das tun wir auch nicht. Die Ahnen aber, so sagt man, wären mit diesen Klingen auf die Bärenjagd gegangen - wenn die Götter sie dazu aufriefen. Silber ist feiner als Eisen und bleibt weniger lange scharf. Und gemäß unserem ältesten Sagengut muss die Speerklinge innerhalb eines Monats sowohl geschmiedet als auch das erste Mal benutzt werden, sonst verliert sie ihre Kraft, und man muss sie wieder einschmelzen. Ein solcher Speer würde traditionell nach den Anweisungen eines Träumers gefertigt und käme entweder innerhalb des ersten Monats zum Einsatz oder überhaupt nicht mehr.«
    Breaca erwähnte nicht, dass diese Tradition schon wesentlich älter war als das Volk der Eceni, und dass jene, die auf diese Weise auf die Jagd gingen, die direkten Vorfahren von Ardacos’ Bärinnenkriegern gewesen waren. Auch sagte sie nicht, dass der besagte Monat bereits in fünf Tagen verstrichen sein würde.
    Doch der Gouverneur war kein einfältiger Mann und hatte sich im Verlauf seiner Karriere die Zeit genommen, die Ahnengeschichte diverser Kulturen zu studieren. Mit einem nachdenklichen Nicken erwiderte er: »Silber ist in der Tat wesentlich weicher als Eisen. Verbiegt es sich also nicht, wenn es sein Ziel trifft?«
    »Das kann passieren. Ein Speer wie dieser hier muss mit absoluter Präzision geworfen werden. Sobald er auf Knochen prallt, verbiegt sich die Klinge und tötet nicht, sondern bringt den Krieger vielmehr in Lebensgefahr. Wenn der Speer andererseits aber glatt zwischen den Rippen hindurchdringt und das Herz trifft oder sich durch den Hals bohrt und dort auf eines der großen Blutgefäße stößt, dann ist der Jagderfolg ein vollkommener und der Jäger bleibt am Leben. In früheren Zeiten war dies eine Mutprobe. Selbst einen solchen Speer nur zu besitzen, war bereits ein Zeichen der Ehre. Dies ist das erste Mal in der Geschichte unseres Stammes, dass ein solcher Speer einem Mann als Geschenk überreicht wird, der kein Krieger der Stämme ist.«
    »Danke. Ich fühle mich sehr geehrt. Ich bin stets aufs Neue erstaunt über die Schönheit der Metallarbeiten der Eceni und das handwerkliche Können, welches darin zum Ausdruck kommt.«
    Der Gouverneur legte den Speer zurück in dessen blauwollenes Bett. Mit den Fingern strich er noch einmal über die makellose Politur des Speerhefts und sagte: »Für jemanden, der das Geschick besitzt, sie zu werfen, wären diese Speere natürlich auch die idealen Waffen, um sie in einer Schlacht einzusetzen. Wenn man sie auf den Feind schleudert, würden die Klingen jener, die nicht in die weichen Körperpartien eines Mannes eindringen, doch immerhin verbiegen und könnten nicht mehr herausgezogen werden. Das gleiche Prinzip verwenden wir übrigens bei unseren Wurfspießen.«
    Der Gouverneur war ein Mann von der gewinnenden Art eines Diplomaten und ausgestattet mit dem Intellekt, um es selbst im Rom unter Kaiser Claudius zu Wohlstand und Ansehen zu bringen. Ganz beiläufig warf er also seinen Stein in den Fluss ihrer Unterhaltung und wartete darauf, dass Breaca an diesem Hindernis auf Grund laufen würde. Und lag in seinen Augen einmal nicht jener Ausdruck gelassenen Humors, so war sein Blick eine offene Herausforderung. Zwanzig Jahre der Schulung auf Mona bewahrten Breaca jedoch davor, diese in gleicher Weise zu erwidern.
    Ohne jegliche Verbitterung erwiderte sie: »Das haben auch wir schon gehört. Diese Speere jedoch sind allein für ein heiliges Ritual geschaffen und nicht für den Kampf. Ich würde also davon abraten, dass der Gouverneur die Speere, wenn er das nächste Mal in den Krieg zieht, gegen die Silurer verwendet, aber vielleicht möchte er sie ja einmal gegen einen Bären in unseren nördlich gelegenen Wäldern erproben. Falls nicht, würde ich mich geehrt fühlen, wenn er sie für würdig erachtete, sie auf seiner Reise

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