Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
behauptet hatte, die Kreuze hätten noch kein Blut geschmeckt.
    Doch es war zumindest kein menschliches Blut, und das Schaf, das vom rechten Arm des rechten Kreuzes herabbaumelte, war auch nicht am Kreuz gestorben. Man hatte ihm erst die Kehle durchgeschnitten und dann die Haut abgerissen, so dass sein rosafarbenes Fleisch auf den ersten Blick tatsächlich wirkte, als wäre es menschliches Fleisch. Außerdem hatte man es ausgenommen, damit die Verwesungsgase es nicht zum Platzen brächten, doch war dies nicht sonderlich sorgfältig ausgeführt worden, denn aus dem auf seinem Bauch klaffenden Spalt hingen faulige Streifen von grünlich verfärbten Eingeweiden heraus.
    Langsam baumelte das Schaf im Wind, drehte sich an dem Strick hin und her, und Breaca erkannte erst sehr spät, was Cygfa und Cunomar bereits erblickt hatten: Auf beiden Seiten seines Brustkorbes war mit einem glühenden Eisen das Zeichen des Schlangenspeers der Bodicea eingebrannt worden, der sich über den Adler Roms erhob.
    Graine musste sich übergeben.
    Als das jüngste von den drei Kindern der Bodicea war sie bislang noch am weitesten verschont geblieben von der rohen Brutalität des Krieges. Und als die Wirklichkeit nun stärker als jemals zuvor auf sie eindrang, versuchte sie zunächst einen verzweifelten Augenblick lang noch zu verstehen, erbrach sich aber gleich darauf heftig in den Schlamm zu Corvus’ Füßen.
    »Es tut mir Leid.«
    Corvus sagte es noch einmal, sowohl auf Eceni als auch auf Latein. »Ich weiß nicht, wer das getan hat oder warum, aber wenn ich es herausfinde, wird derjenige dafür büßen müssen. Und ich schwöre, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich euch auf keinen Fall diesen Weg entlanggeführt. Oder ich hätte eine Möglichkeit gefunden, euch vorher wenigstens zu warnen. Es tut mir wirklich aufrichtig Leid.«
    Er kniete nieder und bot Breacas jüngster Tochter etwas Wasser aus seiner Gürtelflasche an. Graine schluchzte leise und zog damit die Aufmerksamkeit aller vor und hinter ihr Stehenden allein auf sich. Ihr Entsetzen war echt, doch zugleich auch ein wenig übertrieben - denn Graine wollte von Cunomar und Cygfa ablenken, die zutiefst erschüttert dastanden und sich in einer Welt zurechtzufinden versuchten, die plötzlich aus den Fugen geraten war.
    Breaca wollte zu ihnen gehen, hätte damit aber nur noch mehr Aufmerksamkeit auf sie gezogen. Also ließ sie Corvus sich um Graine kümmern, nahm seine Worte des Bedauerns entgegen und schaffte es überdies sogar noch, dem Sekretär des Gouverneurs ein Lächeln zu schenken, der die unterwürfigsten Entschuldigungen seines Herrn überbrachte sowie dessen Wunsch, dass Breacas Familie möglichst bald im Theater Platz nehmen möge, wo sie vor solcherlei Hässlichkeiten, die mit ihr ja auch gewiss gar nichts zu tun hätten, geschützt wäre.
     
    Drei komplette Legionen hatten sich um den Stufenbogen des Theaters herum aufgereiht und bildeten Gassen, welche auf die zahlreichen Eingänge und Treppenaufgänge zuführten. Breaca und ihre Familie kamen erst spät, schienen die Letzten einiger Bummelanten zu sein, die den Weg vom Forum bis hierher gegangen waren. Vor ihr demonstrierten derweil in einem wahren Meer von schwatzenden Menschen die acht Delegationen der Stämme mitsamt deren Familien, Freunden und Gefolgsleuten, wie außerordentlich wohl sie sich doch in der Gesellschaft der Römer fühlten.
    Sie konnten das erhängte Schaf, das Symbol der Feigheit und des Mangels an Kampfesmut, unmöglich übersehen haben, beschlossen aber offenbar, nicht darüber zu sprechen; stattdessen drehten sich die lauten Unterhaltungen ganz pragmatisch allein um kommerzielle Angelegenheiten. Nach der geradezu erdrückenden Würde und Förmlichkeit der Zeremonien des Vormittags besaß die Versammlung im Theater nun etwas von der Zwanglosigkeit eines Viehmarkts. Die Verträge, die hier geschlossen und wieder gebrochen wurden, waren jedoch nicht weniger verbindlich als jene, die gemäß römischem Gesetz und unter Anwesenheit der Zeugen während der morgendlichen Sitzung besiegelt worden waren.
    Tagos war bereits da; dies hier war eine Welt, in der er förmlich aufblühte. Selbst das Fehlen seines einen Armes war kein Hindernis und wurde nur allzu leicht wieder ausgeglichen von seinem scharfen Verstand und seinem Geschick, stets einen guten Handel abzuschließen. Wie beabsichtigt hatte die Kunstfertigkeit, die sich in seinem Königsarmreif zeigte, bereits einiges an Aufmerksamkeit auf sich

Weitere Kostenlose Bücher