Die Seherin der Kelten
überlegte bereits, welche Taktik sie dann wohl am besten anwandten - und sah doch gleichzeitig keine Möglichkeit, wie sie die Legionen überhaupt noch so lange von sich fern halten sollten. Denn das Kriegsheer, mit dem sie im Frühjahr Rom vielleicht schlagen könnten, wurde gegenwärtig doch gerade erst aufgestellt.
Sie spürte einen Luftzug, hörte Stimmen und wusste, dass sie noch nicht ganz wach war. Bruchstücke ihrer Träume hielten sie noch immer umfangen. Träume von Schnee und zerfetztem Fleisch und dem verlöschenden Licht in Tagos’ Augen, als dieser starb. Verzweifelt bemühte Breaca sich darum, ihre Gedanken allein auf den neuen Morgen zu konzentrieren. Sie spürte, wie Airmid auf sie zukam. Doch mit Airmid erschien auch das uralte, finstere und spröde Wesen der Träumerin der Ahnen.
Viel zu rasch setzte Breaca sich also auf ihrem Lager auf. Als sie die Augen öffnete, sah sie den Schein des Feuers über das rote Gold der Silurer gleiten und wie dieses in geradezu blendendem Glanz erstrahlte. Und sowohl in ihrem Traum wie auch in der Wirklichkeit existierte für Breaca plötzlich nur noch jener Torques der Ahnen, Geschenk und Fluch zugleich und schwer beladen mit den Träumen seiner vorherigen Besitzer.
»Breaca?« Airmid war bei ihr, hatte eine Hand auf Breacas Schulter gelegt. »Was siehst du?«
»In dem Gold des Halsreifs lebt die Träumerin der Ahnen. Das habe ich vorher nicht gewusst.«
Breaca fuhr mit dem Finger über das kalte Metall, spürte die feste, durch Jahrhunderte des Tragens geformte Wölbung. Von außen betrachtet war der Halsreif noch der, der er schon immer gewesen war, ein Wunder aus miteinander verschlungenen Golddrähten mit Ringen an den Endstücken, in die in der Tradition der Ahnen die Kriegerfedern gesteckt wurden.
Als Breaca diesen Reif das erste Mal getragen hatte, war sie noch ein Kind gewesen. Damals hatte für sie nur gezählt, dass sie sich mit diesem Reif irgendwie königlich gefühlt hatte und plötzlich auch anderen diesen Eindruck ihrer eigenen Würde zu vermitteln vermochte. Jahre später, auf dem Schlachtfeld der römischen Invasion, hatte der Ahnenreif für sie den Freitod ihrer Mutter Macha symbolisiert und das Opfer, das diese erbracht hatte, damit andere am Leben blieben. Bei seiner damaligen Entgegennahme hatte Breaca nur Trauer und Einsamkeit gespürt. Noch später, als sie ihn an Silla weiterreichte, hatte sie wiederum ihr Bestes gegeben, um ihre jüngere Schwester vor gerade diesen beiden Empfindungen zu bewahren. Als Tagos den Torques auf der Lichtung im Wald schließlich Cygfa übergeben hatte, war erneut und klar zu erkennen jene würdevolle Haltung hervorgetreten, die mit diesem Reif stets einherging, doch keine tiefere Vision erreichte mehr seine neue Trägerin.
Erst jetzt also, und dies auch nur, weil Breaca der Träumerin der Ahnen bereits zuvor schon einmal begegnet war, spürte sie die Rhythmen der Macht, welche in das Gold eingewoben waren. Aus tiefster Vergangenheit tasteten sich diese zu Breaca vor und berührten den strahlenden, allein auf den Kampf ausgerichteten Teil ihrer Seele. Doch sie streiften auch jenen dunklen Winkel, aus dem einst der Ruf nach Rache für Caradoc erschallt war. Und gerade jener Schrei war es gewesen, der statt Caradoc schließlich Valerius wieder heimgeführt hatte - weil Breaca ihren Wunsch nicht rein und frei von Emotionen vorgebracht hatte.
Noch immer wurde Breaca in ihren Nächten heimgesucht von stets dieser einen quälenden Erinnerung. »Hat meine Mutter in dem Halsreif das Gleiche gesehen, was auch ich nun in ihm sehe?«, fragte sie.
Airmid setzte sich an das Fußende von Breacas Bett. Den Torques legte sie zwischen sie beide. »Nein. Denn die Kraft deiner Mutter stammte weder aus dem Schlangenspeer, noch brauchte sie sie je gezielt zu sich zu rufen. Die Ahnen kommen nur zu jenen, die sie brauchen und die zugleich die Fähigkeit besitzen, ihrer Gegenwart überhaupt standzuhalten.« Damit hob Airmid den Blick, wollte sich gerade einen kleinen Scherz erlauben, besann sich aber wieder und fuhr in ernstem Tonfall fort: »Du jedenfalls kannst ihnen standhalten. Zwar verlangt dies nach einer anderen Sorte von Mut als die, die man in einer Schlacht braucht, aber du hast diesen Mut in dir.«
»Vielleicht.« Die bloße Erinnerung an die Höhle der Ahnen ließ ihr Denkvermögen in diesem Augenblick geradezu gefrieren. Breaca stand auf und begann sich anzukleiden, ließ den Torques unterdessen aber noch auf den
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