Die Seherin der Kelten
Sein Sitz war makellos, seine Endstücke lagen in den Höhlen unter Breacas Schlüsselbeinen, und sein Gewicht konzentrierte sich im rückwärtigen Teil, so dass ihre Schultern den Großteil davon trugen. Bereits in ihrer Kindheit hatte sich der Reif schon genauso perfekt an sie geschmiegt - obwohl sie damals noch wesentlich kleiner gewesen war.
Als Schmiedin wusste sie das handwerkliche Geschick, mit dem der Torques angefertigt worden war, zweifellos zu schätzen. Als Breaca jedoch, als die Bodicea, die Erstgeborene der königlichen Linie, die nunmehr ihr rechtmäßiges Erbe antrat, suchte sie nach einem ersten Eindruck, was ihr dieses Erbe in Zukunft wohl noch bescheren mochte, und sie war überrascht, aber auch ein wenig enttäuscht, als sie keinerlei Herausforderung erahnte, keinerlei Bedrohung, sondern lediglich ein zartes Ziehen in ihrem Unterbauch spürte und ein Seufzen vernahm, das von einem Hund hätte stammen können, der gerade an seine vertraute Feuerstelle heimgekehrt war.
Schließlich, als die Ahnin ihr weder erschien, um sie zu begrüßen, noch, um ihr Vorhaltungen zu machen, erhob Breaca sich vom Feuer und schob die Türklappe auf. Draußen war die Welt vollkommen weiß; bis auf Oberschenkelhöhe drängte sich der Schnee gegen die Wände der Hütte, und scharf biss die Kälte in Haut und Fleisch.
Sie hatte eine weitere Schwelle überwunden. Nichts hatte sich geändert und wiederum auch alles. Airmid trat neben sie, und es war gut, einmal an jene Dinge erinnert zu werden, die sich niemals ändern würden.
Sie starrte auf den Schnee hinaus, als Breaca an sie gewandt sagte: »Du hattest Recht, die Götter sind mit uns. Denn auch, wenn man Philus in Camulodunum vermisst, werden die Verantwortlichen dennoch nicht das Risiko eingehen, gerade jetzt eine Patrouille auszusenden, damit diese sich auf den Weg zu uns und auf die Suche nach Philus macht. Damit sind wir mindestens bis zum Frühling erst einmal in Sicherheit. Diese Zeit können wir dazu nutzen, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir die Legionen vielleicht sogar noch etwas länger in Schach halten können.«
Auch für den Rest des Monats prägte unentwegter Schneefall das Bild, versiegelte das Land geradezu unter einer Decke von Eis, so dass die Legionen in ihren Winterquartieren verharrten und die Stämme in ihren Siedlungen und das Land in einer Ahnung von Frieden ruhte.
Drei Tage vor Jahresende sandten die Götter Breacas Volk den Südwind, der warme Luft mit sich brachte und das Land damit wieder vom Schnee befreite. Am dritten Tage, als man erstmals wieder gefahrlos reiten konnte, nahm Breaca sich von Cygfa einen kastanienbraunen Junghengst, der noch nicht allzu lange an den Sattel gewöhnt war, und ritt gemeinsam mit Cunomar zu jenem Flusstal hinaus, in dem Philus und seine Männer ihr letztes Lager aufgeschlagen hatten.
Die Schneedecke war nur noch stellenweise vorhanden und zerlief bereits zu Schlamm. Die Luft roch feucht und nach verfaulenden Blättern sowie, als sie das Tal erreichten, nach verdorbenem Fleisch. Der kastanienbraune Junghengst scheute bei dem Gestank zurück und musste erst mühsam dazu überredet werden, weiter vorwärts zu gehen, doch genau dies war schließlich auch der Grund, warum Breaca das Tier hierher geführt hatte; ein Schlachtross durfte sich nicht vor dem Geruch eines Blutbades fürchten. Breaca band das Pferd an einer Weide fest und folgte Cunomar in die schmale Schlucht hinab.
Die ganze Zeit über hatte der Winter die Leichen zugedeckt und dafür gesorgt, dass sie unversehrt geblieben waren; die Aasfresser hatten sie also erst vor kurzem entdeckt. Breaca hatte nach der Schlacht keinerlei bewusste Anstrengungen unternommen, sich die Lage der Toten einzuprägen, doch das Muster war auch so nur allzu leicht zu deuten: Hier, hinter dem aus Weidenruten gefertigten Unterschlupf für die Schafe lagen die zwölf Händler von Philus, allesamt mit dem Gesicht nach unten und mit Wunden in den Körperseiten oder im Rücken, die sie erlitten hatten, als sie zu flüchten versucht hatten; vorne wiederum lagen die Söldner, die gestorben waren, als sie sich verteidigten. Der Schwarzhaarige, der auf Cygfa losgegangen war und dabei seinen Arm verloren hatte, lag unter einem etwas kleineren, grauhaarigen Gefährten, den wiederum Breaca getötet hatte. Zusammengezogen durch die Kälte spannte sich das Fleisch über ihre Gesichter, und mit dem schmelzenden Schnee war auch das Blut fortgeschwemmt worden, so dass sie
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