Die Seherin der Kelten
Einsamkeit zu erleben, war sie als Frau zurückgekehrt, und die Vision, die sie gehabt hatte, hatte ein regelrechtes Strahlen von ihr ausgehen lassen. Breaca war damals diejenige gewesen, die für Cygfa vor dem Ältestenrat gesprochen hatte, und sie hatte Cygfa als ihre Tochter begrüßt, einzig, dass sie nicht Blut von ihrem Blute war, doch war diese Verbindung zwischen zwei Menschen ohnehin schon immer die geringste von allen gewesen.
Ebenso hoch gewachsen wie ihr Vater und wunderschön, flocht Cygfa sich vor den Schlachten ganze Hände voll Kriegerfedern ins Haar und schwang sich auf ein Pferd, das sie selbst gezüchtet hatte. Die Krieger pflegten sie dann stets dicht zu umringen, um kurz ihr Schild berühren zu dürfen. Das sollte Glück bringen. Und es bestand keinerlei Zweifel daran, dass Cygfa wie immer gut kämpfen und sauber töten würde. Und falls sie dann tatsächlich einmal in einer Schlacht den Tod finden sollte, so würde das auch nur deshalb geschehen, weil Briga sie in der anderen Welt brauchte. In sämtlichen Schlachten, an denen sie seit ihrer Rückkehr aus Rom teilgenommen hatte, hatte sie an der Seite der Bodicea gekämpft, und sie hatte sich stets hervorragend geschlagen.
Von irgendwo in weiter Ferne sprach die Ahnin: Du liebst Cygfa wie eine Tochter. Das sehen auch die Kinder von deinem eigen Fleisch und Blut tagtäglich, und sie trauern darum. Wundert es dich da etwa, dass sie sich enger an andere halten als an dich?
Breaca lag auf dem kalten Fels am Ufer des unterirdischen Flusses, und ihr Mund war vor Durst völlig ausgedörrt. Ihre Körpertemperatur war stark angestiegen, und gleichzeitig war ihr kalt, und sie zitterte. Ihr Atem reichte nicht aus, um ihren Worten eine deutlich hörbare Stimme zu verleihen. Flüsternd antwortete sie: »Du drehst dir die Wahrheit zurecht, wie sie dir passt. Meine Kinder wissen, dass sie in meinen Augen alle gleich viel wert sind.«
Bist du dir da sicher?
» Ja.«
Sie war sich dessen zwar ganz und gar nicht sicher, doch sie hatte es einfach behauptet. Auch der Fluss schien ihre Behauptung mit seinem Rauschen zu bekräftigen, und die Worte der Ahnin wurden immer leiser.
Aber du bist eine Eceni. Es ist dein Blut und dein Recht und deine Pflicht. Es ist noch nicht zu spät, die Tränen der Kinder zu trocknen. Aber dazu musst du zuerst einen Weg finden, wie du den Menschen das Herz und den Mut und den Kampfeswillen, die sie schon lange verloren haben, wieder zurückgeben kannst. Finde eine Möglichkeit, die Krieger zum Kampf aufzurufen und um dich zu scharen, und bewaffne sie; finde mindestens einen, der genug Mut hat, um dir in der Hinsicht das Wasser reichen zu können; vielleicht wirst du dann siegen. Sei ihnen die Anführerin, die sie so dringend brauchen. Und schließlich musst du noch das Zeichen finden, das das unsere ist, und den Platz entdecken, den es in deiner Seele einnimmt. Erkenne das Zeichen, und dann wirst du sie in den Sieg führen.
Die scharfen Worte der Ahnin ritzten ein Bild in die Dunkelheit: den Schlangenspeer, der flammend vor einem sommerlichen Himmel schwebte.
Die sich krümmende Schlange besaß zwei Köpfe, womit sie gleichzeitig die Vergangenheit und die Zukunft betrachtete. Der Speerschaft war gebogen, so als ob er zerbrochen wäre. Seine eine Spitze zeigte nach oben, die andere nach unten - sowohl hinab in die Erde als auch hinauf in den Himmel - und verband damit das Reich der Menschen mit dem Reich der Götter.
Und immer noch mehr Speere erschienen, eingemeißelt in den lebendigen Fels der Wände der Höhle, von der Erde bis hinauf zu der unerreichbar hohen Decke. Überall, in jedem noch so kleinen Winkel, lenkte die doppelköpfige Schlange ihren Blick sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Und der über sie verlaufende gebogene Speer verband die Götter mit ihrem Volk. Das Feuer begann zu knistern und zu prasseln, loderte noch einmal hell auf, ergoss sich wie flüssiges Metall in die in den Fels eingeritzten Zeichen und Symbole, so dass auch sie plötzlich mit Leben erfüllt wurden und sich schimmernd von den Wänden abhoben.
Das Licht wurde unerträglich hell. Es schmerzte, den Blick auf den grellen Schein zu richten. Breaca glaubte, im Sterben zu liegen, und wandte den Kopf ab. »Was geschieht mit meinen Kindern?«
Willst du sie wirklich in den Sklavenpferchen sehen? Wenn du den Sieg über den Feind erringen willst, musst du dafür deine Kinder aufgeben. Und es ist besser, du verlierst sie jetzt an Mona,
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