Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
war starr auf den steilen Abhang des Hügels gerichtet, dorthin, wo das Heidekraut des Hochlands weiten Flächen von Farndickicht und Gras wich. Im Sommer war an diesem Abhang das Heu geschnitten worden. Mittlerweile war das Gras aber wieder bis auf Fingerlänge nachgewachsen und gab einen guten Weidegrund ab. Graine blickte höchst konzentriert zu der gleichen Stelle hinüber, die auch der Hund beobachtete, und während ihre Wahrnehmung mit der seinen zu verschmelzen schien, traten aus einem verschwommenen Umriss, der ungefähr die Form eines Dreiecks hatte, die Konturen von drei grasenden Hasen hervor, allesamt etwa ein Jahr alt.
    Die Hasen waren noch jung, und sie waren unvorsichtig. Graine, die ebenfalls noch ein Kind war, hatte jedoch aufmerksam zugehört, wenn andere ihre Jagdgeschichten zum Besten gaben: »Beobachte sie aus der Ferne. Erst wenn du einen allein erwischst, ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um zuzuschlagen.«
    Dubornos hatte ihr dies einst geraten, der hagere und aufmerksame Sänger, den die Götter lebend wieder aus Rom hatten hierher zurückkehren lassen - dieselben Götter, die Graines Vater noch immer in Gallien festhielten. Dubornos hatte davon gesprochen, dass kein allzu großer Unterschied darin bestände, ob man nun Jagd auf Hasen machte oder ob man Römer verfolgte.
    Graine lag in dem feuchten Gras und wartete. Nemain, die Mondgöttin, sank langsam tiefer hinab, bis der Hase, der auf ihrer Oberfläche lebte, nicht mehr deutlich zu erkennen war. Das Flüstern und Raunen der Morgendämmerung veränderte seinen Klang und verwandelte sich in die Stimmen des Tages. Graine wäre eine endlose Nacht lieber gewesen; in der Dunkelheit nämlich hörte sie ihre Großmütter, die aus dem Land jenseits des Lebens zu ihr sprachen, und dann hatte Graine das Gefühl, dass sie die Welt verstand. Bei Tageslicht dagegen musste Graine sich wieder an den unzuverlässigen Äußerungen der sie umgebenden Erwachsenen orientieren, und die waren nur allzu verwirrend.
    Es war nicht etwa so, als ob die Erwachsenen lögen, es war lediglich die Tatsache, dass sie die Welt nicht aus dem gleichen Blickwinkel betrachteten wie die Großmütter, so dass es recht schwierig war, herauszufinden, was ihnen gefallen würde und wie man es ihnen recht machen konnte. Besonders ihre Mutter, Breaca, war schwer einzuschätzen, obwohl doch gerade sie es war, der Graine am meisten zu gefallen suchte - falls diese denn noch am Leben sein sollte. Diese Frage hatte sie schon den ganzen Morgen über beschäftigt und auch die ganze Zeit davor, seit dem dunklen Abend mit Airmid, als sie beide Dinge im Fluss gesehen hatten, die sie lieber nicht sehen wollten.
    Die Großmütter waren ihr nach dieser Vision weder tröstend zur Seite geeilt, noch hatten sie ihr die Bilder erklärt. Mit nichts Verlässlicherem als einzig der Beobachtung und dem Nachempfinden des Schmerzes, den Breaca gefühlt hatte, hatte Graine beschlossen, erst einmal davon auszugehen, dass ihre Mutter noch am Leben war und gewiss bald schon wieder zurückkehren würde - dass sie verkünden würde, die Römer seien vernichtet, dass sie vielleicht sogar ein wenig beeindruckt wäre von den Taten der Tochter, die sie zurückgelassen hatte.
    Auf der Hügelflanke - unter dem wachsamen Blick des Hundes - entfernte sich derweil der mutigste der drei Rammler von seinen Geschwistern, auf der Suche nach noch frischerem Gras. Erst wenn du einen allein erwischst... In dem winzigen Augenblick, als die Sonne Graine das Blitzen in den Pupillen des Hasen enthüllte, als Stone aufhörte, sich zitternd an ihre Seite zu pressen, und plötzlich ganz ruhig wurde, in dem Moment hob Graine ihre Hand.
    Während der ersten paar Sekunden der wilden Verfolgungsjagd stockte dem Mädchen geradezu der Atem in der Kehle. Sie hatte schon oft genug beobachtet, wie ein Hund einen Hasen hetzte, aber sie hatte noch nie gesehen, wie ihr Hund ihren Hasen zur Strecke brachte - wie ihr Hase Haken schlug, wie sein gelblich braunes Fell schimmerte, das flüchtige Aufblitzen seines weißen Unterbauches, wenn er sich blitzschnell umdrehte, das durch ihn pulsierende Leben und die geschmeidige Art zu rennen, seine runden schwarzen Augen, so blank wie polierte Jettsteine. Ein Dutzend Herzschläge lang blieb Graine still liegen, fühlte sich endlich als eine wahre Jägerin, sonnte sich bereits im Voraus in dem glühenden Stolz ihrer Mutter.
    Denn das war der zentrale Punkt ihres Plans: Ihr Onkel Bán, der Verräter, war,

Weitere Kostenlose Bücher