Die Seherin der Kelten
Und quer vor dem Eingang des Tals postiert bildeten einige weitere Reihen von wartenden Kriegern eine Mauer, so massiv wie Felsgestein.
Nur Longinus hob den Blick nicht nach oben, sondern hielt seine gelben Habichtsaugen nachdenklich auf Valerius gerichtet. »Wie viele?«, fragte er.
»Sechshundert. Wir haben also einhundert Pferde mehr als ihr. Ich dachte, das müsste reichen. Sie beherrschen das gesamte Tal; es gibt also keinen Weg mehr, auf dem ihr noch hinauskommen könntet. Ihr seid umzingelt und in der Minderheit. Unter solchen Umständen ist es keineswegs unehrenhaft, sich zu ergeben, und wir haben auf Mona auch keine Inquisitoren. Wenn ihr möchtet, wird man euch sogar die Möglichkeit bieten, zukünftig für uns zu kämpfen. Wir haben bereits eine Hand voll Bataver sowie einen Gallier, die auf unserer Seite reiten. Wenn ihr euch denen allerdings doch nicht anschließen möchtet, so wird euer Tod sauber und rasch sein.«
Longinus hatte es noch nie an Mut gefehlt. Grinsend erwiderte er: »Dann bist du also tatsächlich nicht mehr das erbärmliche Häufchen, für das wir dich wohl beide gehalten hatten. Das freut mich.«
»Longinus, darum geht es jetzt doch gar nicht, ihr müsst euch entscheiden. Deine Männer werden genau das tun, was auch du tust. Wenn du... Nein! «
Mit blitzartiger Schnelligkeit hieb die mit dem Mond geschmückte Klinge nach Valerius’ Kopf. Nurmehr vom Instinkt geleitet konnte Valerius den Schlag gerade noch abwehren, während er fühlte, wie die Erschütterung durch seinen Körper wogte und sich bis auf sein Pferd übertrug. Eisen glitt sirrend über Eisen hinweg, als er sein eigenes Schwert mit Schwung zur Seite führte. Funken stoben hell auf. Ein Dutzend Katapultsteine regneten um ihn herum nieder, und zwei Hilfskavalleristen stürzten zu Boden. »Longinus! Sei kein Idiot! Du kannst doch vor einem Katapultstein nicht davonlaufen... Ah, gütige Götter, warum habe ich dir bloß jemals mein Pferd überlassen? Vorwärts!«
Er sprach über das donnernde Hufgetrappel galoppierender Pferde hinweg. Noch nie hatte das Krähenpferd es zugelassen, dass sein Reiter in einer Schlacht besiegt wurde. Ganz gleich, ob nun mit oder ohne Longinus’ Befehl, es war einfach auf der Hinterhand herumgewirbelt, hatte sich hoch über die Gefahrenquelle aufgebäumt und war dann in südliche Richtung davongestürmt. Und ganz so, wie es ihnen eingedrillt worden war, folgten die Männer und Pferde der Ala Prima Thracum dem Tier.
Auch Valerius setzte zur Verfolgung an, auf einem Pferd, das langsamer war und bereits verwundet und das ihm dennoch seine ganze, noch verbliebene Kraft schenkte. Madb drängte ihr Tier neben das von Valerius, nahm quasi die Stelle des Schildes an seiner Schulter ein, und gemeinsam stürmten auch sie in südlicher Richtung davon, folgten dem flüchtenden Longinus, der schnurstracks auf eine massive Mauer aus den Kriegern Monas zueilte, Kriegern, die angeführt wurden von Nydd, der sich wiederum bestens an alles erinnerte, was Valerius ihm aufgetragen hatte.
XXXI
Das Aufeinanderprallen von Eisen und Pferdefleisch, menschlichem Blut und Knochen erschütterte die Erde bis hin zum Eingang des Tals.
Valerius von den Eceni, einst Dekurio der Ala Prima Thracum, hatte schon zahlreiche Albträume überlebt, und am Ende hatte er stets feststellen müssen, dass die Wirklichkeit eindeutig weniger schlimm war als die Angst, die er ursprünglich vor ihr aufgebaut hatte. Und nun Mann gegen Mann, Schwert gegen Schwert gegen jene Männer zu kämpfen, die er früher selbst angeführt hatte, um die er sich einst gesorgt hatte, war sicherlich nicht die geringste seiner Ängste, aber auch nicht die größte. Wie immer, so versetzte das Gefühl der selbstvergessenen Pflichterfüllung ihn auch dieses Mal wieder in eine geradezu heitere Stimmung und entzündete in seinem Inneren ein Feuer von ganz eigener Art; die Kraft des Augenblicks und der alles überragende Drang zu überleben ließen ihm keine Zeit für schmerzliche Rückblicke. Außerdem erlebte er bei diesem Ritt in den Kampf etwas, das er noch niemals zuvor gespürt hatte: Er fühlte sich durchdrungen von dem Gefühl, die ihn erfüllenden Götter wahrhaftig zu begreifen; Nemains Klarheit verband sich mit Mithras’ wilder Kraft, und Valerius liebte sie beide und sein Leben in ihrem Angesicht, und er wusste, dass, wenn er nun sterben sollte, er in Frieden sterben würde.
Außerdem focht er an der Seite von Madb, einer Kampfgefährtin, die
Weitere Kostenlose Bücher