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Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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verschlafen und ziemlich gereizt, dass man den Stein erst einmal in jener spartanischen Enklave abstellen solle, die das Arbeitszimmer seines Herrn war.
    Es war kurz nach Sonnenaufgang, als Quintus Valerius Corvus, Präfekt der Ala Quinta Gallorum und stellvertretender Kommandant von Camulodunum, den Stein vorfand. Er setzte sich jedoch zunächst an seine Schreibarbeit, versuchte, wenigstens noch eine friedvolle Stunde zu erhaschen, ehe jene ermüdenden Bagatellen, welche nun einmal den Großteil des Kolonialherrschaftsgeschäfts ausmachten, ihren Tribut zu fordern begannen.
    Zweimal hatte er bereits die Uhren die Stunde schlagen hören, ehe er daran dachte, sich nun endlich den Grabstein anzuschauen, den er doch vor kurzem erst in Auftrag gegeben hatte. Eine Stunde später - sein erster Besucher erschien bereits - war er noch immer mit der Begutachtung des Steins beschäftigt.
    »Was hältst du davon?«
    Sauber, scharfkantig und bar jeglichen Stils lehnte das Grabmal an der gegenüberliegenden Wand des Raums. Von der einen Ecke hing noch das Sackleinen herunter, in das der Stein gehüllt gewesen war; dieses eine Mal hatte der gewöhnlich so peinlich genaue Ordnungssinn des Präfekten ihn offenbar im Stich gelassen.
    Corvus sprach Alexandrinisch, zum einen, um bei der Unterhaltung nicht belauscht zu werden, zum anderen aus Höflichkeit gegenüber seinem Gast und Freund, dem Arzt Theophilus, kürzlich noch Theophilus von Rom, der germanischen Provinzen, Athen und Kos, nun auch Theophilus von Britannien. Theophilus hatte in der letzten Zeit bereits zu viele Grabsteine anschauen müssen, als dass diese ihn noch zu fesseln vermochten, und auch sein Augenlicht war nicht mehr so gut, wie es früher einmal gewesen war. Um seines Freundes willen beugte er sich nun jedoch vor und unterzog den Stein einer Musterung.
    Nach einer Weile richtete er sich wieder auf. »Er ist sehr... beeindruckend. Was möchtest du denn gerne hören, das ich nun über den Grabstein sagen soll?«
    »Dass Longinus den humoristischen Tenor dieses Steins gut heißen würde; dass er dem Mann, so, wie wir ihn kannten, gerecht wird; dass er ihm in seinem Tode gute Dienste leistet, so wie zu Lebzeiten auch Longinus gute Dienste geleistet hat.«
    Theophilus nickte verständig. »Dann will ich mich ernsthaft bemühen - um deinetwillen ebenso wie um seinetwillen -, genau dies nun auch aus seinem Grabstein herauszulesen.« Er beugte sich noch etwas tiefer hinab und las die in den Stein eingemeißelten Zeilen: »› Longinus Sdapeze, Sohn des Matycus, Duplikarius der Ersten Schwadron der Ala Prima Thracum‹, et cetera, et cetera … ›Und in Übereinstimmung mit seinem Willen errichteten seine Erben diesen Stein.‹ Ach, haben sie das?« Er hob den Blick zu Corvus hinauf. »Ich wusste gar nicht, dass du einer seiner Erben bist. Und wer ist denn der andere?«
    Corvus kniff sich in den Nasenrücken. »Valerius. Wer sonst?«
    »Ich verstehe.« Die Augen des Arztes blickten ein wenig wässerig und wohlwollend; aber sie waren noch immer scharf genug, um die Abgründe zu erkennen, die ein anderer Mann in seiner Seele trug. Freundlich erwiderte er: »Demnach bist du also sein einziger Erbe. Hat dir unser verschiedener Freund denn irgendetwas von Wert hinterlassen?«
    »Zumindest schon mal genügend Gold, um diese Monstrosität hier anfertigen zu lassen - den Steinmetz hatte er nämlich noch persönlich ausgewählt, so dass wir vermuten dürfen, dass er bereits wusste, was auf ihn zukam; was ich von mir jedenfalls nicht behaupten kann -, sowie ein gewisses geschecktes Schlachtross. Das heißt, falls es ihn denn überlebt hat und ich es unter den Trümmern, die der Krieg des Gouverneurs zurückgelassen hat, auch tatsächlich finden sollte, wenn ich eines Tages ebenfalls in Richtung Westen marschiere, um zum Gouverneur zu stoßen. Und wenn ich dann, nachdem ich es gefunden habe, tatsächlich an das Tier herankommen sollte und ich, nachdem ich all dies geschafft habe, auch noch dumm genug oder auch unbekümmert genug sein werde, den Versuch zu wagen, mich auf den Rücken des Tieres zu schwingen.«
    Mit einem Knacken seiner von Arthritis geplagten Knie erhob Theophilus sich wieder. Dann stellte er sich hinter den Präfekten und massierte dem Mann mit knochigen Fingern die Schultern. Corvus’ Muskeln wurden wieder etwas weicher, aber noch nicht genug, um den Kopfschmerz zu lösen, den Theophilus vor seinen Augen förmlich wachsen sehen konnte. »Als dein Arzt«, sprach

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