Die Seherin der Kelten
er, »würde ich dir dringend dazu raten, dass du dieses spezielle Pferd noch in dem Moment, wenn du es das erste Mal wiedersiehst, sofort schlachten lässt. Aber ich gehe wohl besser nicht davon aus, dass du meinen Rat auch tatsächlich befolgst. Liege ich also richtig mit der Annahme, dass du schon bald in Richtung Westen reisen wirst?«
»Sogar schon sehr bald.« Corvus reckte den Hals. »Nun, da der Schnee schmilzt, bin ich angehalten, die drei Kohorten mit den neuen Rekruten sowie meinen eigenen Kavallerieflügel ›mit größtmöglicher Geschwindigkeit‹ in Richtung Westen zu führen. Ich vermute, der Krieg verläuft nicht ganz zur Zufriedenheit des Gouverneurs. Dennoch hätten wir besser noch einen weiteren Monat hier mit ihnen exerzieren sollen. Aber so, wie die Dinge nun einmal liegen, und sofern das Wetter so bleibt, werde ich wohl übermorgen gleich mit der Morgendämmerung aufbrechen.«
»Sind sie denn bereit?«
»Die Männer? Nein, die sind genauso wenig bereit, wie eben niemand wirklich bereit ist, der noch nie einen Toten gesehen hat, dem man die Geschlechtsdrüsen aus den Leisten geschnitten und zwischen die Zähne gestopft hat und in dessen Stirn und Brust jenes Zeichen eingeritzt wurde, mit dem die Krieger von Mona ihre getöteten Feinde zu verunstalten pflegen.« Corvus lächelte grimmig. »Der Gouverneur braucht Unterstützung, und wir sind alles, was er noch aufzubieten hat. Am Ende wird er siegen, zweifellos, aber er wird dabei mehr verlieren, als wenn Longinus die Truppen angeführt hätte. Unser trinovantischer Steinmetz fährt derweil damit fort, Grabsteine von geradezu verblüffender Lebhaftigkeit zu fabrizieren, wenngleich auch nur von zweifelhaftem Geschmack. Wenn du diese morgendliche Gabe nämlich einmal genauer betrachtest, wirst du feststellen, dass der sich unter die Hufe von Longinus’ Pferd duckende Eingeborene im Besitz eines voll erigierten Penis ist.«
»Und dass das Lächeln dieses Mannes nicht ernstlich eingeschüchtert wirkt. Danke. Ich hatte es für klüger gehalten, keines von beiden zu bemerken. Zumindest das Pferd aber ist recht gut gelungen; was auch immer man sonst noch von ihnen behaupten mag, so besitzen die Eingeborenen doch ein gutes Auge für Pferde.« Theophilus ließ die Decke wieder über den Stein fallen. »Du brauchst etwas frische Luft. Wollen wir rausgehen? Ach je, wohl eher nicht.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung des Störenfrieds, der die Tür ansteuerte. »Könnte das der Prokurator sein?«
Corvus’ Gesicht nahm den erschöpften Ausdruck eines Mannes an, der gerade unter Belagerung stand. »Wer sonst würde wohl zu dieser frühmorgendlichen Stunde einen solchen Lärm verursachen? Bleibst du noch eine Weile? Vielleicht brauche ich einen Zeugen, wenn ich ihn töte, damit ich später sagen kann, dass die Sorge um meine eigene geistige Gesundheit mich förmlich dazu getrieben hat.«
»Gerne.«
Theophilus setzte sich und wartete. Seiner Ansicht nach war Decianus Catus, der Prokurator von ganz Britannien, ein einfacher Schreiberling und Geldgeier, den man gewiss keines zweiten Blickes gewürdigt hätte, hätte nicht der Kaiser beschlossen, ihn zum zweitmächtigsten Mann Britanniens zu erheben. Allein der Gouverneur besaß noch das Vetorecht, um die Vorhaben des Prokurators zu vereiteln, doch machte selbst er nur höchst ungern davon Gebrauch. Denn sie beide, sowohl der Gouverneur als auch der Prokurator, standen unter dem Befehl, Britannien entweder zu zähmen oder bei dem Versuch umzukommen, und keiner von beiden Männern wollte, dass später im Senat die Kunde umging, er habe den anderen in dessen Bemühungen behindert.
Eine Weile lang hatte Theophilus es als recht amüsant empfunden, den Gouverneur, Anführer der Armeen und Bändiger ganzer Nationen, dabei zu beobachten, wie dieser sich vor dem Erbsen zählenden Steuereintreiber herumdrückte, ganz so, als ob der giftige kleine Mann ein Senator auf dem Weg zum kaiserlichen Thron wäre. Corvus jedoch dabei zu beobachten, wie dieser nun mit zunehmender Gewalt in den Rückzug gezwungen wurde, und dies von einem Mann, der am besten noch im Fruchtwasser seiner eigenen Mutter ertrunken wäre, um damit der Welt seine Anwesenheit zu ersparen, war ganz und gar nicht mehr amüsant.
Gerade rechtzeitig wandte der Arzt sich wieder von seiner Untersuchung der Wandmosaike ab, um noch das Ende eines Satzes mit anzuhören.
»...bin mir des unglücklichen Vorfalls, den das Verschwinden des Händlers Philus
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