Die Seherin der Kelten
entsetzlicher Gouverneur sein, aber er ist ein hervorragender General. Bestände auch nur die geringste Gefahr, dass sie verlieren könnten, hätte er gar nicht erst angegriffen.«
»Am Ende wird er Mona erobern«, stimmte Valerius ihm zu. »Wenn auch nicht mehr in diesem Monat oder im nächsten; zumal sich nun die Silurer und die Ordovizer zusammengeschlossen haben und ihn von hinten angreifen werden, damit er nicht seine gesamte Streitmacht auf die Meerenge konzentrieren kann. Aber dennoch glaube ich, du hast Recht. Spätestens zu Mittsommer wird er die Insel eingenommen haben. Allerdings wird er dorthin nicht über das Blut und Fleisch jener gelangen, die dort gelebt haben. Denn allein um die Menschen geht es; um die Stammesältesten, damit ihr Wissen bewahrt bleibt, und um die Kinder, damit sie das Wissen der Ältesten wiederum in sich aufnehmen. Wo sie sind, dort ist Mona, und sie können wir retten. Alles, was wir dazu noch brauchen, ist Zeit. Und genau diese Zeit werden Braint und ihre Krieger sich mit ihrem eigenen Fleisch und ihrem eigenen Blut erkaufen.«
Longinus musterte Valerius’ Gesicht. Er kannte ihn besser als jeden anderen Mann, wahrscheinlich sogar besser, als Valerius sich selbst kannte. Nach einer Weile und voller Mitgefühl fragte Longinus: »Und willst du denn nicht bei den Kriegern von Mona sein, wenn diese ihre Verteidigung aufbauen?«
Valerius starrte eine Zeit lang auf den Hund hinunter, dann auf die Pferde, die den Wagen zogen, und schließlich auf den vor ihnen liegenden Pfad. Der weiche Rhythmus der Schritte der Tiere hätte Longinus womöglich erneut in den Schlaf gewiegt, wäre die Antwort nicht für sie beide von zu großer Bedeutung gewesen. Schließlich entgegnete Valerius: »Mein Wunsch, bei ihnen zu sein, ist dringlicher, als ich wahrscheinlich jemals mit Worten ausdrücken könnte.«
Longinus schob sich ein Stück nach vorn, trotz seiner Übelkeit und trotz des Widerspruchs seines Freundes, als er versuchte, neben ihm auf dem Kutschbock Platz zu nehmen, dort, wo zuvor noch der Hund gesessen hatte. Und in der Tat, das Krähenpferd zog den Wagen, was, wenn dies vielleicht auch sonst keine tiefere Bedeutung hatte, so doch in jedem Fall viel aussagte über den verzweifelten Wunsch seines Herrn, möglichst rasch voranzukommen. »Also, lass mich die Frage noch einmal stellen. Warum reisen wir nach Osten?«
Valerius seufzte und kniff sich in den Nasenrücken, so wie auch Corvus es zu tun pflegte, wenn man ihn über Gebühr bedrängte. Ohne den Blick von dem vor ihm liegenden Weg abzuwenden, erklärte er: »Ich reise nach Osten, weil Luain mac Calma, jener Mann, der behauptet, mein Vater zu sein, und der der Vorsitzende des Ältestenrats von Mona ist, mir befohlen hat, meiner Schwester die Nachricht zu überbringen, dass es sowohl für die Götter als auch für deren Völker von großem Nutzen wäre, wenn auch die Stämme aus dem Osten sich zum Widerstand erheben, wenn der Sturmangriff auf Mona beginnt. Und ich habe geschworen, seinen Wünschen Folge zu leisten oder aber bei dem Versuch zu sterben. Und du reist nach Osten, weil ich nach Osten reise und weil ich dich nicht im Westen zurücklassen wollte.«
Sie saßen so dicht nebeneinander, dass ein jeder von ihnen die Körperwärme des anderen spüren konnte, und plötzlich wurden sie sich dessen auch bewusst. Der Karren geriet kurz ins Stocken, dann zog er wieder an; das Krähenpferd war von beiden geritten worden und wusste folglich, was Valerius und Longinus im Inneren bewegte. Nach einer langen Pause meinte Longinus: »Und, werden wir bei dem Versuch sterben?«
Nun endlich wandte Valerius ihm doch noch das Gesicht zu. Und überraschenderweise lag in seinen Augen ein geradezu gelassener Ausdruck, selbst ein Funken seines vertrauten, trockenen Humors fand in ihnen Platz.
»Ich werde vielleicht sterben. Du aber nicht. Ansonsten müssten schon alle meine Pläne und sämtliche der Vorkehrungen, die ich vielleicht außerdem noch treffen werde, fehlschlagen. Schließlich hast du dich an meiner statt um das Krähenpferd gekümmert, und irgendwie muss ich mich für die Gefälligkeit ja erkenntlich zeigen. Würde ich dich also sterben lassen, wäre das wohl ein schlechter Dank.«
XXXII
Der Grabstein wurde schon recht früh geliefert, noch vor dem ersten Tageslicht, woraufhin einer der für die nächtlichen Arbeiten eingeteilten Sklaven sogleich den Haushaltsvorsteher des Präfekten weckte. Dieser befahl dem Sklaven, leicht
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