Die Seherin der Kelten
gegen eine der Leichen, »war Philus. Seine Fischbrosche ist zwar verschwunden, aber dem Skelett fehlt an der linken Hand der kleine Finger, und über den Fußknöchel verläuft ein verheilter Bruch, wie bei Philus. Und was die anderen betrifft, so werdet Ihr feststellen, dass die Leichen alle entkleidet sind. Wichtiger aber noch ist, dass auf der Lichtung keinerlei Kettenpanzer oder Waffen gefunden wurden.« Er grinste. Seine Männer ebenfalls. Sie hatten diese Rede schon einmal gehört; mehr als einmal sogar. »Meiner Erfahrung nach machen Bären sich nur selten die Mühe, ihre Opfer zu entkleiden. Die eingeborenen Aufrührer hingegen tun dies immer.«
Corvus grinste nicht. Leicht verwirrt widersprach er: »Genauso, wie es eben auch Banditen und Diebe tun. Theophilus, ich werde genauere Angaben darüber brauchen, wie diese Männer gestorben sind, zumindest, soweit man dies allein anhand ihrer Gebeine noch mit Sicherheit sagen kann.« Er war auf den Heckverschlag des Wagens geklettert, um dessen Inhalt noch etwas genauer betrachten zu können. Somit lag der Vorteil, der Größte zu sein, nun bei ihm. »Prokurator, bis wir eine vollständige Bestandsaufnahme der Leichen vorliegen haben, was deren Identifizierung ebenso wie die Ursachen ihres Todes betrifft, können wir...«
»Wie viele Anhaltspunkte wollt Ihr denn noch haben, um sie zu identifizieren? Bestreitet Ihr etwa, dass das hier Philus ist?«
»...bis wir die zweifelsfreie Identifizierung jener Leichen vorliegen haben, die nicht von Römern stammen, bis wir die Ursache der Verletzungen an den Toten festgestellt haben und bis wir die Gelegenheit hatten, die Identität ihrer Mörder zu bestimmen...«
»Präfekt, das ist Unfug. Wir wissen von Philus, dass er zuletzt bei Prasutagos war. Er ist tot und all seine Männer mit ihm. Gemäß Driscus’ nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellter Schätzung fehlen mindestens zwei Dutzend Ausrüstungen, jeweils bestehend aus Schwert, Schild und Kettenpanzer. Folglich haben wir nicht nur ein Nest von Mördern, das sich da mitten in ›König Prasutagos‹ Siedlung breit gemacht hat, sondern sogar die ersten Ansätze einer Aufwiegelei. Wie könnt Ihr da noch von irgendetwas anderem ausgehen?«
»Weil auch Prasutagos tot ist.«
Es begann zu regnen. Das Prasseln der Tropfen auf die Dachziegel zerriss das Schweigen. Corvus behielt ein sorgsam neutrales Lächeln bei.
Träge blinzelnd schaute der Prokurator ihn an. Die weißlichen Ränder seiner Nasenflügel verfärbten sich gelb unter der Anspannung, mit der er atmete. »Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?«, wandte er ein.
»Ich bin mir gar keiner Sache sicher, was ja auch der Grund dafür ist, dass ich darum gebeten hatte, dass unser Arzt erst einmal eine Sichtung vornimmt. Zumindest aber weiß ich von keinem anderen Mann, der den Königsreif der Eceni an seinem Arm, seinem einzigen Arm trug.« Corvus trat ein wenig zurück. »Theophilus? Würdest du mir bitte bestätigen, dass dem Toten, der hinter Philus liegt, oberhalb des Ellenbogens und im frühen Erwachsenenalter der rechte Arm amputiert wurde, und dass bis vor kurzem etwas mit bronzenen oder kupfernen Endstücken um den verbliebenen linken Arm geschlungen war?«
Allein ein mittelgroßes Wunder ermöglichte es Theophilus in diesem Augenblick noch, einen gelassenen Gesichtsausdruck zu bewahren. »Gut gemacht«, murmelte er auf Alexandrinisch und beugte sich vor, um mit dem Finger über die kupfergrünen Flecken am Oberarm von Tagos’ Skelett zu fahren und dann noch einmal über den Brustkorb, auf dem der Arm gelegen hatte. Selbst diejenigen, die am Rande der Gruppe standen, konnten, als er die Hand hob, das Grün an seinem Finger erkennen.
»Der Reif wurde entfernt, nachdem es das letzte Mal geregnet hatte«, verkündete er, »und das war gestern. Ein Schmuckstück in der Handwerkskunst der Eingeborenen und von dieser Qualität würde einem in Rom einen netten Erlös einbringen. Ich vermute, einer der Männer des Prokurators hält es irgendwo sicher verwahrt, was zweifellos klug wäre; es könnte sonst nur allzu leicht vom Wagen fallen. Prokurator?«
Der Prokurator hätte Theophilus in diesem Augenblick mit Freuden umbringen können. Da ihm dies jedoch versagt blieb, würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit jener Mann dran glauben müssen, der den Königsreif an sich genommen hatte. Spürbar hing die Drohung in der Luft, sie jetzt allesamt einfach einmal auspeitschen zu lassen. Diverse
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