Die Seherin der Kelten
als eine Art Zeichen.
»Gehört deine Familie jetzt also schon zu deinen Feinden?« Die Stimme erschallte von einer Stelle zwischen den Bäumen, und es war die Stimme jenes Menschen, der zwar nicht zu Breacas Blutsverwandtschaft gehörte, wohl aber zu der Verwandtschaft ihres Herzens, und sie klang amüsiert und so, als ob sie sich eines herzlichen Willkommens bereits gewiss sei. Mit hell schimmerndem Haar und erfüllt von der Lebendigkeit der Nacht führte Cygfa ihr Pferd auf die Lichtung.
»Stell dir vor, da hat man doch tatsächlich einfach deine Träumerin ohne ihre Kriegerin zurückgelassen - und deine Tochter ohne ihre Mutter. Also habe ich geschworen, dass ich sie beide entweder zu dir bringen würde oder dich zurück zu ihnen. Damals war ich mir allerdings noch nicht im Klaren darüber gewesen, wie schwer es werden würde, dich aufzuspüren. Wenn Ardacos dir also nicht bereits auf die Schliche gekommen wäre und vor ihm sogar noch Cunomar, dann hätte ich dich wohl nie gefunden. Im Übrigen solltest du jetzt mal dringend deinen Umhang vom Feuer nehmen. Der ist doch noch viel zu gut, um ihn jetzt hier verkohlen zu lassen.«
Cygfa war ganz und gar die Tochter von Caradoc. Ihr träges Lächeln, mit dem sie ihren Worten den Stachel zu nehmen wusste - und ihnen damit eine andere, noch viel schwerer zu ertragende Bedeutung verlieh -, war genau wie das seine. Zwölf Herzschläge lang blieb die junge Kriegerin allein in dem klaren Mondlicht stehen, und Breaca hatte gerade noch Zeit genug, um ein kurzes Gebet an Briga und Nemain zu senden und sie anzuflehen, nicht auch noch die schlimmste ihrer Befürchtungen wahr werden zu lassen - doch vergebens. Denn da erzitterten auch schon die Buchen, und zwischen ihnen traten Airmid und Graine hervor. Die Nacht schien plötzlich still zu stehen. Es wäre um so vieles besser gewesen, wenn sie die Höhle niemals verlassen hätte.
»Airmid...«
Doch sie waren nicht allein gekommen. Airmid schien neben sich ein Wesen festzuhalten, von dem bisher nur eine verschwommene Kontur zu erkennen war. Dann ließ sie den Schatten los, und er sprang in großen Sätzen auf Breaca zu. Ein Hund weiß nichts von den oft nur schwer zu entschlüsselnden Botschaften der Ahnen und von den Visionen, die diese den Menschen schicken. Stone jedoch, der letzte und zugleich beste aller Nachkommen des Kampfhundes Hail, hörte den Schmerz in der Stimme jener Frau, die er von allen Menschen am innigsten liebte, und er wusste, dass nur er allein diesen Schmerz lindern konnte.
Zumindest diesen Hund durfte Breaca nun ja wohl willkommen heißen, ohne den ihr von den Ahnen in Aussicht gestellten Sieg schon im Voraus komplett zu vereiteln. Der Schmerz aber, den Breaca jetzt spürte, war noch größer als der bei Caradocs Gefangennahme. Sie kniete nieder und breitete die Arme aus. Stone durchmaß die letzten Meter der Lichtung in einem solchen Tempo, als ob er gerade an einer Hetzjagd teilnähme. Breacas gesamte Familie, sowohl ihre Familie in Fleisch und Blut als auch die nur noch im Geiste bei ihr weilenden Mitglieder, schauten zu, als die Bodicea die Hände in der Mähne ihres Kampfhundes vergrub und neben den beiden ein wollener Umhang sich in dicke Rauchwolken aufzulösen begann.
Es war schließlich Graine, die den Umhang ihrer Mutter von der Feuerkuhle wegzog. Doch sie war noch zu klein, um ihn ganz hochheben zu können. Die angesengte Wolle fiel über sie, während der untere Teil des Umhangs auf dem Boden schleifte. Dicht an ihrer Schulter stiegen kleine Rauchwölkchen empor. Das Feuer, das an dieser Stelle geschwelt hatte, loderte unter der erneuten Zufuhr von frischer Luft wieder auf. Hell erleuchtete der orangerote Schein der Flammen die eine Seite ihres Gesichts, während er die andere Hälfte in Dunkelheit tauchte. Bemalt mit einem Muster aus Licht und Schatten, presste Graine energisch die Lippen zusammen und spannte die Züge ihres kleinen Gesichts an. Sie wollte nicht weinen.
»Wir alle haben dich gefunden«, erklärte sie, für den Fall, dass das noch nicht offensichtlich gewesen sein sollte. »Ich habe von den Birken geträumt, und Cygfa hat dann deine Fährte entdeckt. Und als wir in deine Nähe gekommen sind, war Airmid diejenige, die merkte, dass Cunomar schon hier war.«
Breitbeinig stand sie nur eine Speerlänge von ihrer Mutter entfernt und hielt ihre kleinen Kinderfäuste fest an die Brust gepresst. Die Tochter der Bodicea würde niemals in Gegenwart anderer Tränen vergießen. Die
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