Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
genau die gleiche Farbe hatte wie Breacas Haar. Sie wusste genau, wie er sich anfühlte, erkannte ihn sofort, und er war noch warm von der Hitze, die von Dubornos’ Körper ausstrahlte, als sie ihn nun in den Händen hielt.
    Der ausgemergelte Sänger war jetzt dicht genug an sie herangetreten, dass sie das Weiß seiner Augen erkennen konnte. In all den Jahren, die sie beide nun schon erwachsene Menschen waren, hatte er sie nicht ein einziges Mal angelogen. Sie kannte niemanden, der von größerer Integrität war. Er lächelte abermals, und Breaca hätte weinen mögen, als sie den Schmerz erkannte, der in diesem Lächeln lag; und das darin enthaltene Versprechen.
    Selbst jetzt war noch immer Zeit genug, um wieder umzukehren.
    »Efnís singt für dich.« Hinter ihnen ertönte Ardacos’ Stimme. Er war kein Anhänger Nemains, und er träumte auch nicht. Und jetzt, da Gwyddhien tot war, hätte es ihm freigestanden, an ihrer statt die Stelle des ranghöchsten Kriegers von Mona einzunehmen. Er wäre damit zum Anführer aller Krieger des Westens geworden und hätte zu den bereits an den Dachbalken des Großen Versammlungshauses prangenden Schnitzereien auch sein eigenes Zeichen hinzufügen dürfen. Er war also nicht dazu gezwungen gewesen, stattdessen nun als das Kindermädchen der Nachfahren der Bodicea zu dienen, und noch dazu in einem Land, das bloß noch der Leibeigene von Rom war.
    Mit der gleichen Geste wie Dubornos streckte jetzt auch er die Hand nach Breaca aus. Die Feder, die er ihr überreichte, bestand aus reinstem Silber. Gunovic hatte sie geschmiedet, ein Jahr bevor er starb. Diese Feder stand für fünfzig getötete Feinde, oder vielleicht auch für fünfhundert, Breaca konnte sich nicht mehr so recht daran erinnern, und überhaupt war das für sie nie von Bedeutung gewesen; nur Kinder und die ganz jungen Krieger zählten noch, wie viele Krähenfedern sie bereits besaßen - wie viele Feinde sie bereits getötet hatten. Und dennoch, das Volk der Eceni hatte schon so lange den Krieg und die damit einhergehende Ehre entbehren müssen, dass für sie eine solche Feder mittlerweile vielleicht wieder von Bedeutung sein könnte.
    »Flechte dir die hier ins Haar und dann geh«, wies Ardacos sie an. »Sie wissen bisher noch gar nichts, außer dass Efnís ihnen für die Zukunft wieder ein eigenes, selbstbestimmtes Leben versprochen hat. Und die einzige Orientierung, die er ihnen auf dem Weg in diese Zukunft bieten kann, bist du.« Er packte sie etwas oberhalb des Ellenbogens am Arm und hielt sie einen Augenblick fest; das war seine Art, sie zu umarmen. Doch allein diese Berührung durchströmte Breaca schon mit Wärme.
    Und dennoch, es war noch immer genügend Zeit, um wieder umzukehren.
    Einst war Ardacos Breacas Liebhaber gewesen und hatte damit Airmid abgelöst, die doch eigentlich keiner jemals ersetzen konnte. Aber trotzdem war Airmid noch immer für Breaca da, so wie sie schon immer für sie dagewesen war und wie sie auch immer da sein musste, weil das Leben für Breaca sonst unerträglich würde. Auch sie erhob nun die Stimme und sagte im Grunde das Gleiche wie die anderen auch schon, nur mit anderen Worten. »Breaca, denk besser nicht darüber nach, wieder umzukehren. Wir haben doch bereits gesehen, was Rom dem Land angetan hat, in dem wir aufgewachsen sind. Und was die Legionen den Menschen angetan haben, die dort leben, kann man sich wahrscheinlich noch nicht einmal vorstellen. Es würde keinem von uns zur Ehre gereichen, wenn wir jetzt wieder umkehren und diese Menschen im Stich lassen würden.«
    Und trotzdem, noch war Zeit genug...
    »Mutter?« Graine saß noch immer auf der Rotschimmelstute. Sie war so leicht. Wenn sie sie erhängten, dann würde es einen halben Tag dauern, bis sie endlich starb. »Wir können jetzt nicht mehr umkehren. Es schneit jetzt noch stärker als bisher. Und die römischen Patrouillen würden, so bald es hell wird, unsere Spur finden.«
    Sie war noch ein Kind, und noch nie hatte sie einen anderen Menschen verfolgt oder war selbst verfolgt worden; doch sie war ein Kind, das auf Mona aufgewachsen war, und dort hatte sie den Geschichten der besten Jäger und Fährtenleser gelauscht, die der Westen je gesehen hatte. Graine kannte die möglichen Gefahren im Winter also genauso gut wie jeder Erwachsene. Und was sie gerade gesagt hatte, war somit nichts anderes als die unverblümte Wahrheit, und mit einem Mal erschienen die unterschiedlichen Wahlmöglichkeiten in einem ganz anderen

Weitere Kostenlose Bücher