Die Seherin der Kelten
seines Umhangs hatte polieren wollen.
Das hier war die Realität; doch sie war nicht das, was die auf der Lichtung Versammelten sahen.
Breaca trat in den von den Harzfackeln ausströmenden Lichtkreis. Wie mit einem einzigen Atemzug hielt man überall auf der Lichtung plötzlich die Luft an, als die dort versammelten Krieger, Träumer und Ältesten vom Volk der Eceni zum ersten Mal seit zwanzig Jahren sowohl ihre größte Hoffnung als auch die Quelle ihrer größten Furcht vor sich verkörpert sahen.
Für sie war die Bodicea stets ein Wesen aus Flammen und glänzendem Metall gewesen: Der rotgoldene Torques schlang sich wie eine lebendige Schlange um ihren Hals, ihr Haar war von dem dunklen, von innen heraus strahlenden Bronzeton eines Fuchsfells im Winter, und ihre Augen strahlten kupfergrün und leuchteten im Triumph der durchkämpften und gewonnenen Schlachten.
Graine dachte in diesem Augenblick, dass sie wohl noch ewig so stehen bleiben und ihre Mutter voller Bewunderung anstarren könnte. Die älteren Mitglieder der Eceni befanden sich in diesem Augenblick an der Schwelle zu einer Veränderung, die die gesamte Geschichte umwälzen sollte. Doch sie verharrten an der Wegschneise, von wo aus alle Pfade beschritten werden konnten und doch nur einer der richtige war. Und ein jeder von ihnen, vom Ältesten bis hinab zum Jüngsten, konnte das spüren.
Efnís war derjenige, der den Zauber, der für einen Moment über der Lichtung gehangen hatte, schließlich wieder brach. Mit einem einzigen Schritt in Richtung des Kreises löste er sich aus den Schatten. Wie Breaca, so hatte auch er sein Möglichstes getan, um sich angemessen für die Begegnung zu kleiden, wenngleich sein Umhang schon deutlich verblichen war und die zusammengerollte Baumrinde seines Stirnbandes so frisch, dass noch die Feuchtigkeit des Baums daran haftete. Rom hatte den Träumern das Tragen ihrer Stirnbänder ebenso untersagt wie den Kriegern das Tragen von Schwertern; allein damit, solch ein Band auch nur anzufertigen, riskierte man schon sein Leben.
Graine war Efnís schon einmal auf Mona begegnet, und sie hatte ihn auf Anhieb gemocht. Sie wollte ihn nun gerne fragen, wer denn gestorben sei, dass er die Totenklage für die verlorenen Seelen gesungen hatte, doch da er bereits wieder seine Stimme erhoben hatte, musste sie ihre Frage für sich behalten.
»Breaca, sei gegrüßt. Der Hohe Rat der Eceni heißt dich willkommen.«
Respektvoll entbot er ihr die Ehrenbezeigung. Airmid und Dubornos, die unterdessen vorgetreten waren und sich neben ihn gestellt hatten, taten es ihm gleich. Zwar war das alles zuvor nicht abgesprochen worden, doch es hatte den beabsichtigten Effekt. Zögernd schlossen sich ihnen auch einige andere aus dem Kreis an. Ein Arm nach dem anderen reckte sich nach oben - ähnlich wie die Halme von Wintergras, die sich in einer trägen Brise aufrichten -, bis schließlich alle dreihundert Versammlungsmitglieder von ihren Plätzen aufgestanden waren. Diese alten Männer und Frauen, die sowohl die Säuberungsaktionen überstanden als auch die Massenerhängungen überlebt hatten und die irgendwie dem Verrat durch Stammesmitglieder und bezahlte Spione hatten entgehen können, diese Männer und Frauen hatten nun also die letzten Überreste ihres Muts zusammengenommen, um sich heute und hier im Geheimen zu treffen - wohl wissend, dass sie, sollte man sie hier finden, dafür innerhalb weniger Tage mit dem Tode bestraft würden.
Alle waren sich bewusst, dass sie das Richtige taten, und doch wollte sich irgendwie nicht die richtige Stimmung für eine solche Versammlung einstellen. Graine erschauderte und wünschte, die Großmütter würden kommen und ihr sagen, womit sie diese bedrückende Stimmung vertreiben könnte. Und als ob Graine ihren Wunsch laut ausgesprochen hätte, wandte Breaca sich plötzlich zu ihr um und blickte mit einem breiten Lächeln direkt in ihre Richtung. Das war nicht das vertraute, nur angedeutete Lächeln, mit dem sie sie auf der Lichtung angesehen hatte, sondern die für alle sichtbare Wertschätzung ihrer Tochter. Breaca kniete sich auf die Erde und bedeutete Graine mit einem kleinen Fingerzeig, in den Kreis zu treten...
… was der reinste Wahnsinn war. Denn auch Graine befand sich seit nunmehr über einem halben Monat auf der Reise, und das sah man ihr auch an. Sie war nicht die Bodicea, die die Macht hatte, selbst eine Versammlung von vollkommen Fremden mit einem einzigen Blick zu befehligen. Sie besaß weder
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