Die Seherin der Kelten
Horizont funkelten die Sterne aus dem Sternbild des Hasen, als sie plötzlich die Stimme eines einzelnen Mannes hörten, der die Totenklage für die verlorenen Seelen mit einem solchen Schmerz in der Stimme sang, dass der Verlust offenbar noch neu sein musste und unverarbeitet. Auf einer Lichtung ein Stück weit vor ihnen leuchtete das Licht eines Feuers auf, und ein Kreis von schweigend dasitzenden Gestalten war zu erkennen. Man konnte ihre Gegenwart durch die Bäume hindurch spüren, als ob es eine Meute von Jagdhunden wäre, die dort auf der Lauer lag.
Da Airmid es war, die sie hierher geführt hatte, zwang Breaca sich hartnäckig, daran zu glauben, dass diese Menschen dort vorne keine Römer waren, die bewaffnet und kampfbereit auf der Lauer lagen - doch die Vorahnung von Gefahr blieb unvermindert stark. Efnís hatte durch seinen Kurier mitteilen lassen, dass die Eceni schwach wären und dass sie, da es ihnen an einem Anführer fehlte, nicht mehr die Kraft und den Willen dazu hätten, sich den zahllosen Schikanen der Besatzer noch länger entgegenzustellen. Gleichzeitig aber hatte er der Bodicea und allen, die mit ihr reisten, auch Verrat und Tod vorhergesagt, sollte sie sich tatsächlich jemals in den Osten wagen. Nur die Ahnen, die sich als Tote ja bereits in Sicherheit wiegen durften, hielten noch eine andere Wendung der Geschichte für möglich und hatten Breaca einen Weg zu ihrem Ziel aufgezeigt. Sie hatten allerdings nicht gesagt, was geschehen würde, wenn dieser Weg nicht ungehindert passierbar war.
Breaca glitt von ihrem Pferd hinunter; Stone wartete schon auf sie. Er drängte sich an sie und schob seine Nase in ihre Hand, so wie er es immer tat, wenn die Vorahnung der Gefahr besonders erdrückend war. Breaca umfasste seine Schnauze mit den Fingern und strich leicht mit dem Daumen über seine Lippen, bat ihn mit diesem Zeichen darum, sich ruhig zu verhalten und Geduld zu haben. Um sie herum schwangen sich nun auch die anderen von ihren Pferden - alle bis auf Graine, die hoch oben auf dem Rücken der Rotschimmelstute saß und darauf warten musste, dass jemand sie herunterhob.
Sie alle waren Breacas Freunde, ihre Gefährten. Zwei von ihnen waren auch bereits ihre Liebhaber gewesen und würden es eines Tages vielleicht auch wieder werden. Getrieben von Stolz und der Vision der Geister hatte sie sie nun also in große Gefahr gebracht. Jeder ihrer vom Krieg geschärften Instinkte sagte ihr, dass noch immer Zeit war, umzukehren und die Menschen, die ihr so sehr ans Herz gewachsen waren, wieder zurückzuführen.
Dubornos stand ihr besonders nahe. Er hatte in Rom bereits im Schatten seines eigenen Kreuzes gestanden, und selbst fünf volle Jahre hatten die Wunden, die er in der Gefangenschaft hatte erleiden müssen, noch nicht wieder völlig abheilen lassen.
»Dubornos...«, begann sie.
»Nein.« Er lächelte. Sie konnte ihn nicht sehen, dafür war es nicht hell genug, aber am Klang seiner Stimme konnte sie erkennen, wie seine Mundwinkel sich hoben. Und ein Lächeln von Dubornos war etwas wirklich Seltenes. Er streckte im Dunkeln die Hand aus und berührte Breaca am Arm.
»Denk noch nicht einmal daran. Wir sind hierher gekommen, weil es unser freier Wille war und weil die Götter es so entschieden haben. Du bist die Anführerin, sonst nichts.« Nun streckte er ihr auch seine andere Hand entgegen. »Aber wir haben dir das hier mitgebracht. Denn unter den Leuten dort vorne gibt es einige, die dich nicht so einfach akzeptieren wollen. Das hier könnte dir dabei behilflich sein, sie auf deine Seite zu ziehen.«
Breacas Finger tasteten nach den seinen und stießen auf warmes Metall. Und kurz darauf stellte sie fest, dass das, was er ihr hinhielt, ein Halsreif war: Es war allerdings nicht der uralte Torques ihrer Ahnen, der als das Zeichen der königlichen Abstammung ihrer Familie galt, sondern der etwas neuere, den Breacas Vater einmal als Geschenk für Caradoc geschmiedet hatte in jenem lange zurückliegenden Winter, als dieser Schiffbruch erlitten hatte. Fünf Jahre lang hatte der Halsreif in dem großen Rundhaus auf Mona neben ihrem Bett gelegen, denn Breaca hatte ihn nie mitgenommen, wenn sie in den besetzten Ländern allein auf die Jagd nach dem Feind gegangen war.
Dieser Halsreif war einfacher gearbeitet als der von den Ahnen geschmiedete, doch die Linien verliefen in perfektem Schwung, und Eburovic hatte verschiedene Metalle mit einem hochwertigen Rotgold vermischt, so dass der Reif bei Fackellicht
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