Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seherin der Kelten

Die Seherin der Kelten

Titel: Die Seherin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
hatte die kräftige Statur eines Schmiedes, schien jedoch nicht allzu sicher zu stehen, als ob er Schmerzen in der Hüfte hätte. »Das war zwar in der Tat unsere gemeinsame Entscheidung gewesen. Allerdings hatten wir die gefällt, bevor du kamst. Es muss also nicht unbedingt bei dieser Entscheidung bleiben, nun, da du hier bist und da wir gesehen haben, wer und was du bist.« Er ließ den Blick einmal über die Runde schweifen. »Und vielleicht mögen wir ja bereits tatsächlich am Boden liegen, aber es ist dennoch nicht vollkommen ausgeschlossen, uns wieder aufzurichten. Wenn die Götter uns nun also einen Grund schicken, für den es lohnt, sich wieder zu erheben, wie sollen wir dann noch unseren Kindern und den Kindern unserer Kinder in die Augen schauen können, ohne die Chance, die uns dargeboten wird, zu ergreifen? Die königliche Linie der Eceni reicht ununterbrochen bis zu den frühesten Ahnen zurück. Und gerade wir, unsere unbedeutende Versammlung hier, soll nun jene Kraft sein, die diese Blutlinie auf immer beendet? Ich jedenfalls nehme mein Wort, das ich vor kurzem noch Lanis von den Krähen gegeben hatte, wieder zurück. Und stattdessen spreche ich nun selbst für mich und für jene, deren Vertrauen ich genießen darf, und ich sage, dass die Bodicea bleiben soll und dass wir uns wieder mit Waffen eindecken müssen, dass wir unsere Klingen wieder aus der Erde ausgraben sollten, unsere Speere aus ihrem Versteck unter den Reetdächern herausziehen, und dass wir Schilde schmieden müssen, die stark genug sind, um den Hieben der Schwerter der Legionen standhalten zu können. Wir müssen kämpfen und bereit sein, notfalls für unsere Sache auch in den Tod zu gehen.«
    Er war einst ein Krieger gewesen, sein ganzes Auftreten verriet das. Graine hätte ihn am liebsten umarmt. Stattdessen aber lächelte sie nur und freute sich, als er sie sah und ihr Lächeln erwiderte. Die anderen respektierten ihn, wie man klar an der Anzahl der nickenden Köpfe erkennen konnte. Und noch jemand erhob sich, eine Frau, um einiges jünger als diejenige, welche zuerst gesprochen hatte. »Der Nordländer hat Recht«, stimmte sie ihm zu. »Die königliche Linie ist eine der Schöpfungen der Götter. Es ist nicht an uns, sie nun untergehen zu lassen.«
    Wie Feuer, das sich in herbstlich trockenem Gras ausbreitet, so breitete sich nun unter den Versammelten Zustimmung aus. Hier und dort entstanden zwar Meinungsverschiedenheiten, versuchte man, den Richtungswechsel im Keim zu ersticken. Woanders fanden sich kleine Gruppen zusammen, in denen die Männer und Frauen hitzig gegen die Rückkehr der Bodicea wetterten. Fast alle von ihnen trugen Narben. Noch tiefer als die körperlichen Narben aber hatte sich in diese Menschen eine gewisse Abgestumpftheit eingegraben, die von dem schmerzlichen Bewusstsein herrührte, dass sie gerade jene an Rom verloren hatten, die ihnen am meisten am Herzen lagen; und sie fürchteten sich davor, nun noch mehr zu verlieren.
    Langsam nahm die Versammlung jene Lebhaftigkeit an, wie Graine sie von Mona her gewohnt war; die Lautstärke nahm zu, die Stimmen wurden schriller, während wohl abgewogene Einwände überzogenen Hoffnungen weichen mussten oder in der Angst der Menschen untergingen. Einer nach dem anderen erhoben sich die Träumer und Krieger, um sich entweder auf die Seite der Frau zu schlagen, die als Erste gesprochen hatte, oder auf die der Bodicea. Sie waren keine Ratsversammlungen mehr gewohnt, und die Regeln der Mäßigung und der Höflichkeit, die bei diesen üblicherweise galten, waren ihnen nicht mehr geläufig. Als die Nacht älter wurde und jene, die noch immer darauf warteten, endlich das Wort ergreifen zu dürfen, langsam müde wurden und die Geduld verloren, brach schließlich auch der letzte Rest von Ordnung und Disziplin zusammen. Sowohl Männer als auch Frauen standen in kleinen Gruppen zusammen, brüllten Breaca an, brüllten einander an oder schrien einfach nur etwas in die Menge, in der Hoffnung, dass irgendjemand sie hörte.
    Als der Tumult seinen Höhepunkt erreichte, entdeckte Graine einen schlanken, rothaarigen Mann mit beginnender Stirnglatze, über dessen Nasenrücken eine Narbe verlief wie von einem Schwert, das ihn im Kampf gestreift haben mochte. Er drängte sich durch die Menge nach vorn und sprang auf einen umgestürzten Baumstamm am Rande des Versammlungskreises. Seine Stimme war einst stark genug gewesen, um den Lärm einer Schlacht zu übertönen, und vermochte dies auch

Weitere Kostenlose Bücher