Die Seherin der Kelten
selbst die rachsüchtigen Götter, die einem Menschen einen Grund zu lieben geben konnten, nur um ihm diesen einen Grund dann sogleich wieder zu entreißen, schienen nicht die Stärke zu besitzen, in ihre Vergeltung auch noch das Muttertier mit einzuschließen.
Gegen Mittag, als die Stute abgetrocknet worden war und auf ihren Läufen kniete, umgeben von Haferstroh, das Valerius um sie herumgestopft hatte, um sie in ihrer aufrechten Haltung zu stützen, kehrte er in die Schmiedehütte zurück und schürte das Feuer, bis der Raum wieder so warm war wie immer. Anschließend begann er, eine Fleischbrühe zu kochen, die auch ein bewusstloser Junge schlucken konnte.
Nicht ein einziges Mal erlaubte er sich, seine Gedanken zu dem an die Krähen verfütterten Kadaver zurückschweifen zu lassen, der einst ein Hengstfohlen gewesen war. Und auch an die Prophezeiung wollte er nicht denken, die, wenn man es genau nahm, lediglich vorhergesagt hatte, dass es ein schwarz-weißes Fohlen würde mit einem Schild und einem Speer auf der Stirn.
Airmid war schon immer die Gewissenhafteste unter allen Träumern gewesen. Und Tatsache war, dass sie mit keinem Wort versprochen hatte, dass das Fohlen, das sie so präzise beschrieben hatte, lebend zur Welt kommen würde.
Die Stute erholte sich allmählich wieder dank des warmen Futterbreis und der sorgsamen Pflege, die Valerius ihr Tag und Nacht zukommen ließ. Schließlich erkannte sie ihn sogar und hieß seine Fürsorge willkommen. Am zweiten Tag nach ihrer Fehlgeburt erhob sie sich und schritt, befreit von der Last des Fohlens, über die Koppel und durch das offene Gatter hindurch bis zum Eingang der Schmiede, in der Bellos lag und noch immer nicht das Bewusstsein zurückerlangt hatte. Nach dem Besuch der Stute veränderte sich seine Gesichtsfarbe jedoch ein wenig.
Im Anschluss an seinen Ausflug fraß das Tier das gute Heu, das Valerius ihm gekauft hatte, und soff von dem warmen Wasser mit der Fingerspitze voll Honig und den Aufgüssen aus Klette und Baldrian. Da sie sich auf Valerius’ Grundstück frei bewegen durfte, verbrachte die Stute ihre Zeit damit, an der Tür zur Schmiede zu stehen. Damit sperrte sie allerdings auch das Sonnenlicht aus und verschreckte die Hühner, die auf der Türschwelle scharrend ihre Sandbäder nehmen wollten.
Bellos’ Zustand blieb unverändert. Als der Junge drei Tage nach der Fohlengeburt dem Erwachen noch immer kein Stück näher gekommen war als in der ersten Nacht, gestand Valerius sich ein, dass er wohl an seine Grenzen gestoßen war, und machte sich auf den Weg hinunter zu der kleinen Siedlung an der Küste, die er ganz bewusst nicht zu seinem neuen Zuhause auserkoren hatte. Nichtsdestotrotz war der fremde dunkle Schmied, der mit seinem fremden blonden Jungen oben auf dem Hügel lebte, in diesem Ort bereits zu einem geschätzten Bestandteil im Gefüge des Lebens geworden.
Valerius hatte einst einmal gesagt, alle Iren wären groß und hätten ein ungehobeltes Benehmen, und dass Bellos in ihrer Gesellschaft nicht sicher sei; doch wie bei allen Unwahrheiten, so steckte auch in dieser zumindest ein Körnchen Wahrheit. Allerdings waren es nicht die Männer und Frauen der Siedlung, die dem Jungen Böses wollten, sondern die Gefahr ging, sofern sie denn überhaupt existierte, von den Seefahrern aus, die die geschützte Bucht und die klaren Quellen gerne dazu benutzten, um ihre Frischwasservorräte aufzufüllen und um Fleisch und Ale zu kaufen. Und diese Männer waren zuweilen eben weder nüchtern noch sonderlich vertrauenswürdig.
Jene, mit denen Valerius Handel betrieb, waren weder allesamt groß und rothaarig, noch trat auch nur einer von ihnen ungehobelt auf. Keiner von ihnen hatte sich der Schmiede genähert oder ihm unaufgefordert seine Hilfe angeboten, und dennoch hatte sich unter den Menschen bereits die Nachricht von der Fehlgeburt der Stute und dem Tritt gegen Bellos’ Kopf verbreitet. Die einzige Frage, die sie sich also gestellt hatten, war, ob der Schmied wohl das Geschick besaß, den Jungen selbst zu heilen, und falls nicht, wie lange es dann wohl dauern würde, bis er Hilfe holen müsste, und wen er dann aufsuchen würde.
Darüber war man geteilter Meinung gewesen, aber die Mehrzahl der Wettenden sagte, dass er eher nach Mona reisen würde, zu dem mageren Träumer, der auch die Stute gebracht hatte, statt dass er die einheimischen Ältesten fragte, die sich zu diesem Zeitpunkt zu einer Ratsversammlung am Hügel Tara versammelt
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