Die Seherin der Kelten
auf einen kleinen Rastplatz zu, wo der Erdboden flach und festgetreten war. Die verglühten Kohlen, die dort von den Feuern seiner Vorgänger zurückgeblieben waren, und ein kleiner Haufen sauber gespaltenes Feuerholz verrieten, dass das Land und seine Bewohner sehr gastfreundlich waren.
Die Felle, die den Karren bedeckten, konnten bei Bedarf über das Wagenrückteil hinausgezogen werden. Gestützt von erst kürzlich angefertigten Stangen boten sie somit eine Art Unterschlupf vor dem nur selten einmal aussetzenden irischen Regen. Valerius legte den Pferden Fußfesseln an und tränkte sie. Dann entzündete er dicht bei dem provisorischen Fellzelt ein Feuer.
Bellos vom Wagen zu heben war mittlerweile wesentlich leichter geworden; keine Fleischbrühe, egal, wie nahrhaft sie auch sein mochte, konnte einen im Wachstum befindlichen Jugendlichen so weit bei Kräften halten, dass er nicht an Gewicht verlor. Der Länge nach auf einigen wollenen Umhängen ausgestreckt und mit ein paar Polstern aus Stroh unter sich, hätte Bellos auch ein nach langer, zehrender Krankheit frisch Verstorbener sein können, so bleich und abgemagert, wie er war.
Sein Haar war nicht mehr länger von dem hellen Blond der Belger, sondern matt und dunkel, und es hing ihm wie nasses Stroh um das Gesicht. Seine Glieder waren nur noch dünne Stöcke, um die sich in Falten die Haut schmiegte, und an den Ellenbogen, Hüften und Schultern wies er entzündete Quetschungen auf, wo sein eigenes Körpergewicht auf das stetig weniger werdende Fleisch gedrückt hatte, bis es blutete. In den vergangenen zwei Tagen war die Fleischbrühe nurmehr als eine dünne, ranzige Schlacke aus seinem Darm gesickert, die so flüssig war wie Urin und selbst das letzte bisschen gesunde Haut noch wund machte.
Valerius hatte sich nie sonderlich viel aus irgendeinem Kind gemacht; und der bereits verstorbene Sklavenjunge, Iccius, war im gleichen Alter gewesen wie er, Valerius, als er die Verletzungen des Jungen versorgt hatte, die dieser durch die Schläge, die Kastration und den Missbrauch durch die Männer hatte ertragen müssen. Bellos war also älter, als Iccius damals gewesen war, aber sein Zustand war wesentlich ernster, als es bei Iccius jemals der Fall gewesen war - außer das eine Mal, als er einen schweren Unfall erlitten hatte -, und er dauerte erheblich länger an.
Valerius, der nie den Wunsch verspürt hatte, einmal Vater zu werden, war nun also in die Rolle eines Krankenpflegers geraten. Ehe er selbst etwas aß oder sich sein Lager für die Nacht richtete, entkleidete er den Jungen stückweise und wusch ihn mit sauberem Wasser, das er zuvor auf dem Feuer erwärmt hatte; anschließend zog er ihn wieder an, legte Polster um die wunden Stellen und strich auf beide Oberschenkel eine Salbe aus Gänsefett und Mehlbeeren sowie einem Quäntchen Honig, damit der Durchfall dem Jungen nicht die Haut zerfraß.
Die ganze Zeit über sprach Valerius mit Bellos, als ob dieser ihn tatsächlich hören könnte, und ließ seine Stimme laut in die Nacht schallen.
»Ich nehme Gänsefett, weil das leichter ist als Schweinefett, sich aber trotzdem gut in die Haut einreiben lässt. Die Mehlbeeren sind für die Geschmeidigkeit und um die Läuse fern zu halten. Der Honig beschleunigt die Heilung, aber das weißt du ja schon. Ich habe gesehen, wie du ihn dem Mutterschaf von Finbar gegeben hast, als das eine schwere Niederkunft hinter sich hatte. Und der kleine Braune ist heute auch ganz gut gelaufen. Ich vermute, sie haben ihn in der Nacht kastriert, als du den Tritt abbekommen hattest, und haben dann gleich am nächsten Tag versucht, ihn ans Geschirr zu gewöhnen. Als Reitpferd würde er sich besser eignen. Und wenn deine Stute bereits wieder so viel Kraft hätte, um den Karren zu ziehen, dann würde ich den Braunen ausspannen und stattdessen ihr das Geschirr umlegen. Aber sei froh, dass sie noch nicht wieder so weit ist. Denn die Schande, einen solch schäbigen Karren ziehen zu müssen, würde sie wohl keinem von uns jemals verzeihen. Genauso wie du, wenn du wieder gesund bist und erfährst, in welchem Zustand ich dich gesehen habe.«
Schließlich, als der braune Wallach und die Stute sich beide ein Stückchen entfernt hatten, legte Valerius das Gänsefett beiseite und nahm sein Schwert auf. Es war weder das römische Kavallerieschwert, mit dem er fast fünfzehn Jahre lang gekämpft hatte, noch das Langschwert seiner Ahnen, sondern eine Art Mittelding, geschaffen, um genau in Valerius’
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