Die Seherin der Kelten
Vision, in der Valerius ein schwarzes Pferd mit einem weißen Schild und einem weißen Speer auf der Stirn in eine Schlacht geritten hatte, die schließlich das Schicksal seiner Schwester bestimmen sollte. Somit hatten sie sich auch nicht über die Wiederkehr dieses Traumes in Form der Stute unterhalten, die Luain mac Calma Valerius zum Geschenk machte, und auch nicht über die Hoffnungen, die gemeinsam mit dieser Stute wieder aufstiegen und die Valerius bereits zu tief in seinem Inneren vergraben hatte, als dass er sie noch beim Namen hätte nennen können.
Bis jetzt, als das Fohlen, das so lange zusammengedrückt in der Gebärmutter gelegen hatte, durch den Geburtskanal hindurch einen Huf in Valerius’ suchende Hand streckte und dann, als ob es beweisen wollte, dass es am Leben sei, die Nase nach vorne reckte und an seinem Finger saugte.
Es war schon so lange her, dass er das letzte Mal mit einer fohlenden Stute allein gewesen war, dass er schon völlig vergessen hatte, wie es war, neues Leben an seinen Fingerspitzen zu spüren, neues Leben, das darum kämpfte, in die Welt entlassen zu werden. Wieder stupste das Fohlen ihn an, schmiegte die Nase in seine Hand, und dieses Versprechen, in dem ein ganzes Leben lag, diese Bitte, zart wie ein leises Gebet, war es schließlich, die Valerius, der sich für immun gegen die Liebe gehalten hatte, sie erneut spüren ließ, mit all der überwältigenden und zugleich vernichtenden Macht der Vergangenheit.
Wie zu der Zeit, als Valerius noch jung gewesen war, sprangen die Pforten zu seinem Herzen wieder weit auf. Die kalte Nacht wurde plötzlich noch schneidender und die Farben der Dunkelheit verschwommen. Weinend streckte er die Hand aus und langte abermals nach vorn. Er war plötzlich nicht mehr erschöpft, und Bellos war nurmehr ein kleiner Grund, weshalb er das Fohlen sicher und unversehrt ins Leben holen wollte.
Es hatte von vornherein keine Hoffnung auf eine leichte Geburt bestanden, doch Valerius hatte ein Gelingen dennoch nicht gänzlich ausgeschlossen.
Die ganze Nacht hindurch und bis in den Morgen hinein hatte er gekämpft, wie er nur selten zuvor gekämpft hatte, und diesmal hatte er für das Leben gefochten und nicht um den Tod. Er hätte den Augenblick nicht benennen können, in dem ein Zurück nicht mehr zu umgehen war, und auch nicht den erst weit später eintretenden Moment, als er sich in die Situation fügte und aufhörte, noch weiter zu versuchen, das Fohlen herauszuziehen. Die Stute war restlos erschöpft und lag da wie tot, allein das Heben und Senken ihres Brustkorbes verriet, dass sie noch am Leben war. Das Fohlen hatte schon vor langer Zeit aufgehört, an seinem Finger zu saugen. Einmal hatte Valerius sein Herz fühlen können, als er versucht hatte, eines seiner Beine hervorzuziehen, doch selbst das Pochen des kleinen Herzens schien verstummt zu sein.
Valerius ließ sich auf die Fersen zurücksinken und versuchte, nachzudenken. Die eine Körperhälfte der Stute war schwarz vor Torf, und fast regungslos lag sie da; selbst zu einem Schaudern fehlte ihr mittlerweile die Kraft. Das Fohlen, wenn es nicht schon tot war, stand kurz davor zu sterben. In den verborgensten Winkeln seines Bewusstseins hörte Valerius wieder, wie seine Mutter jene Anrufung an Briga sprach, die stets einem nahenden Tod vorausging, und er sah im Geiste, wie seine Mutter sich auf die Seite legte, in der Hand ein Messer, so scharf, dass sie damit sogar durch Rohleder schneiden konnte, und damit einem toten Fohlen das Bein vom Körper trennte und dann auch noch den Kopf und anschließend vielleicht noch ein weiteres Bein, um das tote Tier schließlich in kleinen Stücken aus dem Geburtskanal herauszuziehen und dem Muttertier damit das Leben zu retten.
Seit nunmehr zwanzig Jahren hatte Valerius Stuten dabei geholfen, ihre Fohlen zur Welt zu bringen, und noch nie hatte er ein Fohlen zerschneiden müssen, um es herauszuholen. Er verschloss sein Herz, verdrängte jeden Gedanken und jede Empfindung aus seinem Bewusstsein und ging die kurze Strecke bis zur Schmiede und wieder zurück. Das Messer, das er auf dem Rückweg in seiner Hand hielt, war mindestens genauso scharf wie das seiner Mutter.
Später, nachdem das tote Fohlen in kleinen Stücken an die Krähen verfüttert worden war, kehrte Valerius mit etwas angewärmtem Wasser und einigen Kräutern zurück und machte sich daran, die rote Stute wieder zurück ins Leben zu holen. Das lag nicht ganz außerhalb seiner Macht, und
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