Die Seherin der Kelten
hattest darauf geschworen«, erwiderte Breaca, »vor Lanis’ versammeltem Rat, dass es nicht einen einzigen Eceni gäbe, der sein Volk so sehr hasste, dass er uns hintergehen würde. Dieser Mann aber stand weniger als eine Speerlänge von dir entfernt, als du deinen Schwur ablegtest. Und er hatte unmittelbar vor dir gesprochen. Er hatte dich gesehen, er hatte dich gehört, und er kannte dich. Und ich kann nicht glauben, dass du ihn nicht ebenso gut gekannt haben solltest.«
»Dann hältst du mich also für einen Lügner.«
»Ich warte auf eine Erklärung, die mir beweist, dass du es nicht bist.«
»Himmel, Breaca...« Tagos’ Stimme brach, und er wirbelte herum zu den an der gegenüberliegenden Wand aufgereihten Kisten. Breaca trat einen Schritt vor und versperrte ihm den Weg. Der Wein, der sein Ziel gewesen war, lag nun hinter ihr, war für ihn unerreichbar geworden. Er zischte durch die Zähne und wandte sich wieder um. Seine linke Hand krampfte sich hart um den Stumpf seines halben Armes.
Nun strömten die Antworten geradezu aus ihm hinaus, knapp und abgehackt durch seine Angst und das Verlangen, seine Ehre zu retten.
»Der Name des toten Mannes war Setanos. Er war ein Krieger der nördlichen Eceni, und er war verwundet worden bei der Schlacht an der Salmfalle, die damals von Dubornos angeführt wurde. In jener Schlacht verlor er sowohl Freunde als auch Familienangehörige - aber so ist es schließlich jedem von uns ergangen, und wir sind deswegen noch lange keine Verräter geworden. Später aber, als er noch immer von zu Hause fort war, weil er in dem Rückzug aus der Schlacht feststeckte, und die Legionen bereits ihre Vergeltungsschläge gegen die Dörfer führten, verlor er auch noch die Mutter seiner Kinder. Sie war zu jenem Zeitpunkt schwanger und konnte nicht kämpfen. Und er war nicht da, um entweder mit ihr zu sterben oder zu kämpfen, wie es die Ehre verlangt. Dafür hasste er sich selbst, und er hasste Rom, noch mehr aber hasste er Dubornos und durch ihn auch dich. Zehn Jahre lang hatte er auf die Gelegenheit gewartet, an euch beiden Rache zu üben. Doch als ich auf der Versammlung sprach, wusste ich noch nichts von alledem, das schwöre ich.«
»Später aber hast du es herausgefunden und beschlossen, mir trotzdem nichts zu sagen.«
Tagos drehte sich ruckartig um, und im Schein der Lampen leuchteten seine Augen plötzlich unnatürlich hell. »Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe Maßnahmen ergriffen, um diesen Fehler wieder zu berichtigen, und, nein, ich hatte es nicht für nötig gehalten, dir davon zu erzählen. Hättest du denn anders gehandelt?« Sein Blick schweifte zu Breaca hinüber und dann gleich wieder fort, unfähig, einer Begegnung mit ihrem Blick standzuhalten.
Er wollte auf keinen Fall von ihr bemitleidet werden; so viel hatte sie der Winter bereits gelehrt, und dennoch, selbst durch die langsam verebbende Flut ihres Zorns bemitleidete Breaca ihn und konnte daran nichts ändern. Er war wie ein junger Hund, der sich ihr an die Fersen heftete, und er wusste auch gar nicht, wie er sich in ihrer Gegenwart denn anders verhalten sollte. Sie ließ sich gegen die Wand zurücksinken, wo ihre Gesichtszüge weniger klar zu erkennen waren, versuchte, sich wieder zu beruhigen, und fand diese Ruhe schließlich in der Erinnerung an das Gesicht des toten Mannes.
»War Setanos in seinem Hass allein?«, fragte sie.
»Nein. Sie waren stets zu viert: eine Cousine, die die Halbschwester jener Frau war, die starb, und zwei Brüder von ihm, die ihr Dorf verloren, als die Römer ihre Vergeltungsmaßnahmen ausübten.«
»Und wo sind die anderen jetzt?«
Tagos schnaubte spöttisch. »Tot, natürlich. Ich mag ja vielleicht dumm sein, aber ich bin nicht lebensmüde. Und auch, wenn du der Ansicht bist, dass ein langsamer Tod durch römische Hand dir deinen Platz in den Heldenliedern des Winters sichern würde - dein Sohn jedenfalls ist davon überzeugt, dass es so kommen wird -, so würde ich es doch immer noch vorziehen, die Lieder über mich mit meinen eigenen Ohren zu hören, als Lebender. Gaius und Titus haben die anderen drei getötet, genauso, wie sie diesen hier getötet haben. Er war der Letzte. Und sobald der Schnee schmilzt, wird man ihre Leichen finden. Aber wenn wir Glück haben, dann haben die Wölfe und die Aasvögel ihre Leichen bis dahin bereits bis auf die Knochen abgenagt, so dass wenigstens keiner erfährt, wie sie gestorben sind.«
»Die Familien werden es wissen«, widersprach
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