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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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aber immer, um Ärger zu bekommen.
    »Wir sollten vermeiden, unvorbereitet in eine Grube zu
fallen«, sagte Isenwald.
    »Sie meinen, ich soll die Grube vorbereiten, in die
ich dann geschubst werde?«, fragte Schwemmer ohne jede Ironie.
    »Vielleicht sollten wir das nicht am Telefon
besprechen«, sagte Frau Isenwald, und Schwemmer stimmte ihr zu.
    »Lassen Sie uns abwarten, was die Untersuchung der
Haare ergibt, dann reden wir noch mal«, schlug Isenwald vor, und Schwemmer
wunderte sich über ihren ungewohnt konzilianten Ton.
    Man verabschiedete sich, und er legte auf. Die
Ellbogen aufgestützt, senkte er den Kopf und strich sich mit beiden Händen
durch die Haare. Dann stand er auf. Langsam ging er zur Vorzimmertür und
öffnete sie.
    Frau Fuchs saß vor ihrem Computer und tippte.
Schwemmer blieb schweigend in der Tür stehen, und Frau Fuchs wagte nicht, ihn
anzusehen. Angestrengt starrte sie auf den Bildschirm und hackte auf ihre
Tastatur ein. Fast eine halbe Minute hielt sie das durch, dann wurde ihr Tippen
langsamer und hörte dann ganz auf. Sie senkte den Kopf. Immer noch sah sie
Schwemmer nicht an.
    »In einer halben Stunde will ich jeden, der irgendwie
abkömmlich ist, in der Kantine haben«, sagte Schwemmer.
    Frau Fuchs nickte und zog die Nase hoch. Auf ihren
Wangen zogen ein paar Tränen ihre glänzenden Spuren.
    Schwemmer ging zurück in sein Zimmer und zwang sich,
die Tür nicht zuzuknallen. Er hatte sich gerade hingesetzt, als nach einem
nachlässigen Klopfen Kommissar Dräger von der Spurensicherung hereinkam. Er
warf sich lässig in einen der beiden Besucherstühle und grinste Schwemmer gut
gelaunt an.
    »Was ist das denn für eine Geschichte mit der
Seherin?«, fragte er.
    Dräger war erst seit anderthalb Jahren in Garmisch,
also in Sachen Johanna Kindel noch unbeleckter als Schwemmer. Aber seine
Nonchalance ging Schwemmer gegen den Strich. Er hätte sich kaum gewundert, wenn
Dräger die Füße auf seinen Schreibtisch gelegt hätte, und momentan fehlte es
ihm an Toleranz für solche Entspanntheiten.
    »Es gibt keine Geschichte«, blaffte er, und seine
Miene brachte Dräger ungehend dazu, das Grinsen abzustellen.
    »Das scheint ja ein großes Ding gewesen zu sein,
damals«, sagte er ernsthaft.
    Schwemmer nickte bestätigend. »Gibt es irgendwas zu
der Grabschändung, das ich noch nicht weiß?«, fragte er dann.
    »Zwei brauchbare Fußspuren. Die sind sicher. Auf dem
Kreuz waren so viele Fingerabdrücke, dass wir da vielleicht auf einen
Zufallstreffer hoffen können. Eigentlich war das alles ziemlich unspektakulär.
Einfach nur ein Loch.« Dräger zuckte die Achseln. »Aber gab’s denn irgendwas
von der Seherin?«, fragte er, und Schwemmer merkte sehr wohl, wie mühsam der
junge Kommissar seine Neugierde im Zaum hielt. »Irgendwas wird’s doch gegeben
haben, da droben.«
    »Da droben?«, fragte Schwemmer, mehr der Form halber.
    »Na ja, Felberkopf, oder wie das da heißt.«
    Dräger stammte ursprünglich aus Niedersachsen. Für ihn
war ein Berg wie der andere: in erster Linie im Weg.
    Schwemmer zog die flache Schreibtischschublade auf und
warf Dräger die drei Plastiktüten zu: seine beiden verschlossenen und den
offenen Gefrierbeutel, den Frau Kindel mitgebracht hatte.
    »Fundort: Boden. Schotter und Erdreich, wird befahren,
aber nicht oft«, sagte er.
    Dräger sah sich die Haare und die rotbraune Masse in
den Beuteln an. Er führte die Beutel bis auf wenige Zentimeter an die Augen,
dann steckte er sie in die Tasche seiner braunen Tweedjacke und grinste
Schwemmer an.
    »Könnte schnell gehen«, sagte er gut gelaunt und stand
eilig auf.
    »Moment noch«, sagte Schwemmer, als Dräger schon an
der Tür war.
    Dräger sah ihn an und nickte ergeben: Ihm war klar,
was Schwemmer zu sagen hatte.
    Dräger war geschieden und lebte seit einem knappen
Jahr wieder mit einer Frau zusammen. Natürlich wäre das keinerlei Erwähnung
wert, arbeitete die Dame nicht bei der Staatsanwaltschaft München und hörte auf
den Nachnamen Isenwald.
    »Ich habe grade alle in die Kantine geordert«, sagte
Schwemmer. »Das gilt auch für Sie. Und was ich da sagen werde, gilt ganz besonders für Sie.«
    Dräger nickte höflich, dann ging er hinaus.
    * * *
    Schwemmer trabte so energisch wie grantig die Treppe
hinauf. Sein kollektiver Anpfiff in der Kantine hatte nicht länger als drei
Minuten gedauert. Seine Leute hatten stumm zugehört, ein paar, die sich
unschuldig fühlten, hatten gefeixt, aber einige, ganz besonders Frau

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