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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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auffällig
eleganten Satz zurück in den Sattel und schoss erneut davon. Schwemmer blieb
nichts, als wieder Gas zu geben. Nur aus den Augenwinkeln und für den Bruchteil
einer Sekunde sah er am Wegrand den blutigen Körper eines kleinen Rehs liegen,
das mit seinem Leben dafür bezahlt hatte, dass Schwemmer wieder zu dem Motorrad
aufschließen konnte.
    Sie passierten den Abzweig Richtung Felderkopf, aber
das Motorrad raste weiter geradeaus talwärts, zurück in Richtung
Reschbergwiesen. Der Weg war hier glatter und breiter, und Schwemmer gelang es
fast, dranzubleiben. Der Vorsprung des Motorrads wuchs nun langsamer als zuvor,
vielleicht hatte es auch einen Defekt bei dem Zusammenprall mit dem Reh
davongetragen. In dichter Folge schossen die beiden Fahrzeuge aus dem Wald
heraus auf die weite Lichtung der Wiese. Zu Schwemmers Überraschung bog das
Motorrad plötzlich scharf rechts ab. In seiner Erinnerung war dieser Weg nicht
vorgekommen, was ihn allerdings nicht davon abhielt, unter massiver Touchierung
des Weidezaunes ebenfalls abzubiegen. Das Motorrad hatte nun wieder einigen
Vorsprung gewonnen. Schwemmer schaffte es knapp an einem Baumstamm vorbei, der
quer zur Fahrbahn liegend den halben Weg blockierte. Es ging wieder steil
abwärts, und wieder geriet das Licht vor ihm aus dem Gleichgewicht. Diesmal
dauerte es nur Sekunden, bis es wieder in Bewegung kam, und für einen Moment
schien es direkt auf ihn zuzurasen. Schwemmer trat heftig auf die Bremse. Aber
der Fahrer hatte nur eine scharfe Spitzkehre nicht erwischt und war geradeaus
ins Gebüsch gefahren. Nun hatte er die Maschine wieder herumgewuchtet und fuhr
weiter den Berg hinunter. Schwemmer nutzte seinen Informationsvorsprung und
brachte das Auto in einer gewagten Drift um die Hundertachtzig-Grad-Kurve. Dann
gab er Vollgas und erwischte eine brachiale Bodenwelle, die erst seine Vorder-
und dann seine Hinterräder in die Luft katapultierte.
    Während er noch versuchte, den Wagen wieder unter
Kontrolle zu bringen, erkannte er zwanzig Meter vor sich ein Warndreieck.
    Es stand auf einem massiven Felsen.
    Der Felsen stand mitten auf dem Weg.
    Er war rot-weiß angemalt.
    »Einsturzgefahr«, stand darauf.
    »Brücke für Autos gesperrt.«
    »Zweiräder frei.«
    Aber das konnte er erst entziffern, als der Airbag
wieder in sich zusammengefallen war.
    * * *
    »Keine Chance«, sagte Schafmann. »Die Sperre am
Pflegersee kam mit Sicherheit zu spät. Da war der längst durch.«
    »War klar«, sagte Schwemmer, während er ein frisches
Taschentuch aus der Packung zog und an die Schläfe drückte. Zu seinen Füßen lag
bereits ein gar nicht so kleiner Haufen zerknüllter, blutgetränkter
Papiertücher. Er lehnte am Heck seines zerstörten Autos. Auf der Kofferraumhaube
lag ausgebreitet eine Karte der Gegend, die sie im Licht von Schafmanns
Stablampe studierten.
    »Hier müsst ihr suchen«, sagte Schwemmer und wies auf
den Weg, der von der Reschbergwiese nach Norden führte. »Ich bin hier am
Ostrand hoch, und er ist über die Wiesen und hier in der Mitte rauf. Da oben
muss es irgendwo passiert sein.«
    »Fragt sich nur, was«, sagte Schafmann.
    Durch das Rauschen des Bachs hörten sie auf der
anderen Seite der Brücke ein Auto kommen.
    Schafmann leuchtete hin. Es war ein Notarztwagen. Ein
schlanker, junger Mann stieg aus und kam auf sie zu, einen Alukoffer in der
Hand.
    »Na endlich.« Schafmann leuchtete wieder auf die
Karte.
    Der Arzt trat zu ihnen, grüßte freundlich und warf
einen professionellen Blick auf Schwemmers Platzwunde.
    »An den Türholm geknallt, hm?«, fragte der Mediziner
lächelnd. »Airbag nützt nur, wenn man auch angeschnallt ist.«
    Schwemmer verkniff sich den Satz, der ihm auf der
Zunge lag.
    »Das müssen wir im Krankenhaus versorgen«, sagte der
Arzt.
    »Keine Zeit«, sagte Schwemmer. »Machen Sie es hier.«
    Der Arzt schenkte ihm einen Blick, wie Ärzte ihn
renitenten Deppen zu schenken pflegen, und wuchtete seinen Koffer auf die
Kofferraumhaube, wo er die Karte verdeckte.
    »Die brauchen wir«, sagte Schafmann und zog sie
darunter hervor. Sie beugten sich wieder über die Karte.
    »Nicht mit Autos. Wenn da Spuren sind, machen wir die
kaputt«, sagte Schwemmer.
    »Machen wir zu Fuß auch«, sagte Schafmann.
    »Aber nicht mehr als nötig. Ihr müsst die Augen offen
halten. Auch wegen meiner Waffe. Die liegt ziemlich genau hier.« Er tippte auf
die Stelle, wo der Mann auf ihn geschossen hatte, östlich des höchsten Punktes
des Weges. »Dürfte nicht

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