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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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passiert da drobn«, sagte sie leise.
»Und mir wissn ned, was. Wenn da Spacko wirklich tot is, dann werd i ned für
deine Freind lügn.«
    Severin sah ihr in die Augen, dann senkte er leicht
den Kopf.
    »Vielleicht hast ja recht«, sagte er leise.
    »Gut Nacht, Seve«, sagte sie.
    Severin lächelte scheu, als er den Blick wieder hob.
    »Gut Nacht, Großmama«, sagte er und kletterte dann die
Stiege zu seinem Zimmer hoch.
    Johanna schloss die Tür hinter sich.
    Der Bub spricht wieder mit mir, dachte sie. So hat das
alles wenigstens ein Gutes.
    Sie streifte die Pantoffeln ab, zog ihr Nachtkleid an
und legte sich hin. Nachdem sie ihre Decke zurechtgezogen hatte, löschte sie
das Licht.
    Dann starrte sie lange in die Dunkelheit und wagte
nicht, die Augen zu schließen.

DREI
    Der Adler trug sie hinein in die Nacht. Es war
still um sie herum, nur das Rauschen des Windes hörte sie. Sie sah Wälder, in
der Ferne ein paar Lichter am Boden, Sterne über ihr und eine Mondsichel,
scharf und schmal wie ein Krummdolch. Plötzlich spürte sie ihre Leichtigkeit,
gelang es ihr, den Flug zu genießen; und es kam ihr vor, als sei es Ewigkeiten her,
dass ihr das vergönnt gewesen war.
    Der Adler war ihr Freund. Er war bei ihr geblieben,
über all die Jahre, in denen sie immer wieder verlassen worden war. Theo war
fort. Sabine war fort. Und sogar Gott war fort.
    * * *
    »Herrschaftszeiten, die muss da liegen!«,
bellte Schwemmer ins Mikrofon.
    »Tut mir leid, der Herr EKHK . I seh de Splitter, aber a Waffn seh i ned«, kam als
Antwort aus dem Lautsprecher des Funkgeräts.
    Schwemmer reichte ärgerlich das Mikro an die Kollegin
im Wagen zurück und starrte nach Osten, wo sich zwischen Wank und Ochsenberg
die ersten Strahlen der Sonne durch den Dunst kämpften. Einer der Uniformierten
reichte ihm einen Becher Kaffee. Er nahm ihn, mehr aus Gewohnheit als aus
Überzeugung, denn das Stadium, in dem Kaffee noch geholfen hätte, hatte er seit
ein paar Stunden hinter sich.
    »Wollen Sie nicht doch mal ins Bett gehen?«, fragte
die Kollegin im Wagen schüchtern.
    Schwemmer trank von dem Kaffee und kam zu der
Einsicht, dass sie recht hatte. Sie war noch sehr jung, kam gerade aus der
Ausbildung und hatte für diese Frage an den Chef wahrscheinlich ihren ganzen
Mut zusammennehmen müssen.
    »Bald«, sagte er und rang sich ein schiefes Lächeln
ab.
    Er lehnte müde an dem Streifenwagen, der inmitten des
Morgennebels auf der Reschbergwiese neben einem Weidezaum stand, beäugt von
einer Gruppe schottischer Hochlandrinder, mit aller Neugier, zu der diese
Spezies fähig war.
    Das Funkgerät im Wagen krächzte etwas. Die Kollegin
nahm das Mikro aus der Halterung und meldete sich ordnungsgemäß.
    »Die Hunde haben was entdeckt«, sagte Schafmann aus
dem Lautsprecher.
    Schwemmer stieg in den Wagen und ließ sich
hinaufchauffieren. Der Streifenwagen ruckelte den Schotterweg hoch, und
Schwemmers Hand tastete unwillkürlich nach seiner linken Schläfe. Die Wunde
pochte, und er hatte das Gefühl, der Verband sei feucht. Als er die
Sonnenblende herunterklappte, um im Schminkspiegel danach zu schauen, fand er
diesen einer Sparmaßnahme des Innenministeriums zum Opfer gefallen. So blieb
ihm nichts, als unauffällig an seinen Fingern zu schnüffeln, aber das gab ihm
wenig Auskunft über den Zustand des Verbandes.
    Ein Uniformierter stand auf dem Weg, ein gutes Stück
hinter dem Abzweig zum Felderkopf, und signalisierte ihnen. Die Kollegin hielt
an.
    »Ich geh wirklich gleich ins Bett«, sagte Schwemmer,
bevor er ausstieg. Normalerweise hätte er noch etwas Flapsiges hinzugesetzt, in
der Art: Wenn Sie brav sind, dürfen Sie mich nach Haus bringen oder so, aber
sein lädierter Schädel verweigerte zu diesem Zeitpunkt die Lieferung irgendwelcher
Frivolitäten.
    Der Kollege draußen wies auf eine Lücke im Unterholz
neben dem Weg, und als Schwemmer sich näherte, eröffnete sich dort der Blick
auf einen Pfad, oder eher eine Trittspur, die für sein Gefühl fast senkrecht
den Hang hinunterführte. Er musste seine gesamte verbliebene Energie abrufen,
um den Willen aufzubringen, dort hinunterzusteigen, und während des gesamten
Abstiegs peinigte ihn der nicht zu verdrängende Gedanke, dass er das alles
hinterher wieder raufmusste.
    Immerhin ging es nicht endlos hinunter, sondern nur
etwa hundert Meter, dann noch mal hundert Meter flach in Richtung Norden, wo er
auf Schafmann und zwei Männer vom KDD stieß. Die Hunde waren schon wieder weiter. Er hörte sie weiter

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