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Die Seherin von Garmisch

Titel: Die Seherin von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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Oliver, der Nette, der mit dem rundlichen
Gesicht und den dünnen Haaren, Severins Freund, sein Schlagzeuger: Spacko war
tot.
    Sie hatten ihr ein Bild gezeigt; ein Bild, das immer
noch vor ihren Augen schwebte, während sie dort an der Ausfahrt auf eine Gelegenheit
zum Abbiegen wartete.
    Niemand hatte sie gezwungen, das Foto anzusehen,
Schafmann hatte sie sogar eindringlich gefragt, ob sie sich dem gewachsen
fühle, aber natürlich hatte sie Ja gesagt.
    Und dann hatte sie ihn kaum wiedererkannt, so
zerschrammt und zerfetzt hatte sein Gesicht ausgesehen, käsig gelb zwischen all
den Rissen und mit dem runden, roten Loch in seiner Stirn.
    Schafmann hatte ihr erklärt, all die furchtbaren
Schrammen in Olivers Gesicht wären Folge davon, dass man ihn den Abhang
hinuntergestürzt hatte, aber da war er schon tot gewesen, hatte nichts mehr
gespürt. Überhaupt würde er wenig gespürt haben, wahrscheinlich war schon der
erste der drei Schüsse tödlich gewesen.
    Drei Schüsse, wie sie es gesehen hatte.
    Wie sie es gesehen hatte?
    Nicht ganz.
    Der Ort war ein anderer gewesen. In der Nähe zwar,
aber eben nicht der, den sie Kommissar Schwemmer gezeigt hatte; wo der gewartet
hatte und deshalb zu spät gekommen war, um zu verhindern, was nicht zu
verhindern war.
    Oder vielleicht doch? Wenn sie sich nicht geirrt
hätte? Wenn sie nur sorgfältiger gesucht hätte?
    Sie hatte Schafmann gebeten, den Ort sehen zu dürfen,
aber er hatte sie vertröstet. Später, wenn alle Spuren gefunden und untersucht
worden seien, denn – Schafmann hatte das immer wieder betont – es sei
keinesfalls sicher, was genau dort passiert sei, und dass es zu früh für
Spekulationen sei, dass sie mit niemandem reden dürfe, zuvorderst nicht mit
Olivers Eltern und schon gar nicht mit der Presse. Man werde sich bei ihr
melden.
    Sie schreckte hoch, als es hinter ihr hupte. Sie sah
einen Kastenwagen im Rückspiegel und bemerkte, dass sie eine große Lücke im
Verkehr fast verpasst hätte. Sie gab Gas, bog auf die Münchner Straße und dann
sofort wieder ab in die Unterfeldstraße, wo sie vor dem Friedhofstor hielt.
    Sie blieb sitzen, stieg nicht aus, lehnte nur den Kopf
an die kühle Seitenscheibe und schloss die Augen. Das Bild von Theo tauchte vor
ihr auf, das, das neben Bienerls am Marterl hing, und sie spürte, wie die
Tränen sich den Weg durch ihre geschlossenen Lider suchten. Heute konnte sie
nicht ertragen, dieses Bild zu sehen. Tatsächlich fürchtete sie, dort
zusammenzubrechen, wenn sie jetzt zum Grab ginge.
    Sie versuchte, von hier aus Theos Nähe zu erspüren,
seine Stärke, die ihr so fehlte, versuchte, ihr aufgewühltes Inneres zu
beruhigen, wieder die Kraft aufzubringen, die sie brauchte, um Severin und
Danni großzuziehen, die sie brauchte, um die beiden nicht im Stich zu lassen.
    Als sie den Motor wieder anließ und langsam losrollte,
hatte sie keine Ahnung, wie lange sie dort gestanden hatte.
    * * *
    Fünf Stunden Schlaf hatte Schwemmer sich erlaubt. Als
der Wecker klingelte, war er sekundenlang völlig desorientiert. Aber dann
schwang er so energisch die Beine aus dem Bett, dass ihn prompt ein Schwindelgefühl
attackierte, das von seiner Schläfe ausging. Als es nachließ, griff er nach dem
Telefon auf seinem Nachttisch und stellte fest, dass es nicht da war: Die
Ladeschale war leer, und er konnte sich auch mit Schwindelgefühl
zusammenreimen, dass Burgl es weggenommen hatte, damit es ihn nicht vor der
Zeit weckte. Mit einem gegrummelten Fluch auf den Zustand seines Schädels stand
er auf und wankte aus dem Schlafzimmer in Richtung Bad.
    Als er sich im Spiegel sah, überfielen ihn Zweifel an
seiner Dienstfähigkeit, aber die untersagte er sich energisch.
    Der Verband über der Wunde war blutig und ließ ihn,
zusammen mit den in alle Richtungen abstehenden Haaren und einem massiven
Bartschatten, wie den Teilnehmer einer Wirtshausschlägerei aussehen, der sich
am nächsten Morgen nicht mehr erinnert, was überhaupt vorgefallen ist.
    Schwemmer rieb sich ausgiebig den Nacken, warf sich
Wasser ins Gesicht und putzte die Zähne. Dann nahm er den Morgenmantel vom
Haken an der Tür und ging hinunter. Burgl war nicht in Sicht, aber der
Frühstückstisch war gedeckt. An der Thermoskanne klebte ein gelber Zettel. Er
zog ihn ab. »Für dich, mein Held. Mach langsam. Bin gleich wieder da. I.l.d.«
    Als Erstes schenkte er sich Kaffee ein, dann griff er
nach dem Telefon, das neben der Tasse lag, und wählte sein Büro an.
    Zu seiner Überraschung

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